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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
Entstehung
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483
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Neuenburg. Friedrich Wilhelm IV. und Rapvleon. ^83

Man Wird solche Worte der Hingebung in dem Schreibeneines Königs unwürdig finden, wenn man sich nicht erinnert, wiestark und schnell die Gefühle der Rührung in Friedrich Wilhelm IV. überwallten und wie ganz und gar er die politischen Angelegen-heiten als persönliche behandelte. Man wird deshalb auch in derVersicherung,ein ergebener und für jede Probe zuverlässiger FreuudNapoleons werden zu wollen", kein politisches Programm der preußi-schen Krone sehen; aber eine große Bedeutung hatte der Brief trotzalledem. Der König sagte sich damit jedenfalls los von der Artund Weise, wie Gerlach und Genossen Napoleon bis dahin nudnoch im Laufe des Jahres 1857 als den Inbegriff und Bruuuquellalles Böseu, als den Trüger der Revolution und der revolutionärenUmtriebe beurteilten und behandelt wissen wollten. Selbst derRundschauer der Kreuzzeituug erkannte, wenn auch in widerwilligenund seltsam verschnörkelten Wendungen an, daß Paris nach derNeuenburger Konferenz gerechten Anspruch darauf habe,der be-herrschende Mittelpunkt dieser ueuen Friedens- und Ruhepolitik zusein".Paris ist auch wieder wie 180311 der Ort, wo dieFürsten sich vereinigen: ,i1s s'iiielinsiit «Zsvimt Votrs N^sst.^sagen die dortigen scharf beaufsichtigten Schmeichler mit mehr Wahr-heit als Feinheit."

Nicht als ob die Partei Gerlach oder der König nun ihreösterreichischen Sympathien und ihre napolevnischen Antipathienvertauscht oder verloren hätten aber sie waren doch gezwungen,wenigstens für den Augenblick die wirkliche Lage der politischeuMächte ins Auge zu fassen und die legitimistischen Bedenken zu-rücktreten zn lassen, die sie bis dahin stets über Gebühr beeinflußtund eine kühle Betrachtung der französischen Macht, eine an-gemessene Wertung und Nutzung ihres Einflusses in den euro-päischen Verwicklungen gehindert hatten. Napoleon wußte den Wertdes Briefes wohl zu schätzen und dankte dem Könige für sein Ent-gegenkommen durch erhebliche Dienste. Seine Haltnug trug wesent-lich dazu bei, die Schweiz zu einer angemesseneren Behandlung znbestimmen, während England und Österreich ihren Widerstand er-munterten. Österreich war von dergleichen Bedenken frei, war ja

seit Jahrhunderten gewohnt, als europäische Macht zu handeln?

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