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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Auffassung der Geschichte. Ranke.

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lichen Gewalt erfahren und nicht am wenigsten von den Dema-gogen, die beständig nach Freiheit schrieen. Nun fanden sie inden Werken von Mommsen, Sybel, Droysen, Rochau nnd anderndie rechte Nahrung, teils reiner ausgeschieden, teils in unvoll-kommnerer Mischung. Dies war der einen Partei, jenes deranderen zunächst wenig schmackhaft: im Bilde der Vergangenheitlasen sie das Urteil über ihre Thorheit; aber eben weil es zunächstandere Zeiten und andere Völker betraf, weilte man leichter beider Betrachtung.

Anch Ranke vollendete mit gewohnter Meisterschaft in diesenJahren große historische Darstellungen. Die vier Bände der Fran-zösischen Geschichte erschienen 185256, die Englische Geschichteseit 1859. Sie bereicherten unsere Litteratur durch sorgfältigeForschung und feinsinnige Darstellung ungeheurer Konflikte undgewaltiger Persönlichkeiten, und die Absolutisten, welche die könig-liche Gewalt wie eiue übermenschliche, unter besonderer Gnade undLeitung Gottes stehende Macht verherrlichten, hätten hier lernenkönnen, wie solche Gewalt entstand, wie oft sie sich in aller Ge-brechlichkeit und Bedingtheit zeigte nnd wie es ihr zum Verderbengereichte, so oft sie sich den Schranken menschlicher Pflicht ent-rückte. Aber bei den Lesern überwog der Eindruck von dem Glanzund der Macht eines Ludwig XIV . und von der Heiligkeit derKönigsgewalt auch iu dem Bilde eines Tyrannen wie Heinrich VIII.von England. Denn Rankes Darstellung blieb auch in denWerken dieser Zeit in ihrer Wolkenferne. Man kann nicht sagen,daß sich seine Kraft der historischen Durchdringung durch das Er-leben der Revolution und Reaktion steigerte, daß sich sein Augeund seine Teilnahme für die von ihm weniger beachteten Elementedes Werdens und Lebens schärfte. Vor allem, es kam ihm auchjetzt mehr auf die universalhistorischeu Verhältnisse und auf dieAnalyse der historischen Charaktere an, wobei das ästhetische undpsychologische Interesse die Teilnahme an den Ereignissen und ihrerBedeutung für das Volksleben leicht überwog. Weil er sich indiesen allgemeinen Reflexionen bewegte, so war es ihm anch möglich,sich in den Kreisen der Reaktion und in der ungesunden undseinem freien Geiste an sich widerstrebenden frömmelnden Atmo-

Kaufmann, polit. Geschichte. 32