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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I.

Blick geschärft für das Spiel der Kräfte, die die Zukunft aus denTrümmern der Vergangenheit heraufführen, und für das Ringender Menschen mit den sie umgebenden Notwendigkeiten. Daerschienen so bedeutende nnd so erfrischende Werke wie RiehlsNaturgeschichte des deutschen Volkes (1851), Theodor MommsensRömische Geschichte (185456), Rochaus Realpolitik (1853),Droysens Geschichte der Preußischen Politik (1855), Sybels Ge-schichte der Französischen Revolution (1853). Nicht um die An-sichten handelt es sich, die hier vertreten waren, darin stimmten sieja keineswegs überein, nur darum, daß man so frisch und frei,fo selbständig und so herzhaft politischen und socialen Problemenins Gesicht schaute und daß Tausende von Bürgern mit Freude undZustimmung diese Gedauken nachdachten, diese Bilder sich einprägten.

Vor allen anderen ist Mommseus Römische Geschichte zunennen, bewunderungswürdig, wenn man auf die gewaltige For-schung sieht, die die Werkstücke der Darstellung vorbereitete unddie Grundgedanken herausarbeitete, und zugleich ein Kunstwerkder Darstellung, dem vielleicht unter allen historischen Werkenin deutscher Sprache der erste Preis gebührt. Manche nahmenAnstoß an gewissen Eigenheiten des Stils, entrüsteten sich überdie schroffe und einseitige Beurteilung bisher verehrter Gestalten,aber kein Leser wird namentlich die Katastrophe der Republik unddie Schilderung des gewaltigen Siegers Cäsar und seines Werkesohne lang nachwirkende Erschütterung lesen. Von dem Wesen desStaates, den Bedingungen seines Lebens und Vergehens, vor allemaber von dem Wechselspiel zwischen der schaffenden Kraft großerhistorischer Persönlichkeiten und den Elementen, mit denen sieschaffen und aus denen sich die Widerstände erheben hat wedervorher noch nachher ein deutscher Geschichtschreiber ein gleich tiefgeschöpftes und lebendig erfaßtes Bild gegeben. Dieser Historikerhatte Geschichte erlebt nnd fand ein Publikum, das Geschichteerlebt hatte und nun in der Schilderung der ungeheueren Kata-strophen, in denen sich Roms stolze Macht zersetzte, tieferes Ver-ständnis für die eigenen Leiden und Schicksale gewann. Die schwereZeit hatte die Menschen den Wert gesunder Staatsordnungenkennen gelehrt: sie hatten den Fluch des Mißbrauchs der öffent-