542
Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I,
Aber die Zeit war eine andere. Das Volk ließ sich nichteinschüchtern, es fühlte, daß die Reaktion keine Dauer habenkönne; und der König selbst war trostlos über diese Art des Regi-ments, die seinem ganzen Wesen zuwider war. Kaum anders ginges Noon selbst. Er war kein Manteuffel und kein Westphalen,er konnte auch keine Freude haben an der Art, wie die Junker,auf die er sich stützte, den Kampf gegen die Grundsteuer führten,und nun wurde er überdies genötigt, dem Volke, das er dnrchGewalt einschüchtern wollte, gleichzeitig durch allerlei Maßregelnzu schmeicheln wie die Erfüllung des Hagenschen Antrages undHerabsetzung der Forderungeu für den Militäretat. Er mußtesich sagen lassen, daß das neue Ministerium „statt von konser-vativer Haltung aus liberale Politik zu machen . . . reaktionär-demagogische Politik" treibe; nnd schon ereigneten sich Zwischen-fälle, die vermuten ließen, daß selbst der Mann, der nebenRoon im Ministerium das meiste bedeutete, der Finanzministervon der Heydt, an dem Erfolge dieses Systems verzweifelte undsich für einen nenen Versuch, mit den Liberalen zu regieren,möglich zu erhalten suchte.
Unter diesen Umständen war es unmöglich, den gründlichverfahrenen Streit um die Reorganisation zn schlichten, vbschonandere Verhältnisse eine Versöhnung der Gegner begünstigten.Es schwebten damals mehrere andere wichtige Fragen, und dabeizeigte sich, daß das Haus auch diesem Ministerium keineswegsgrundsätzliche Opposition zu machen gewillt sei. Namentlichfanden die Anträge der Regierung über den Handelsvertrag mitFrankreich die Zustimmung der Kammer, und dieser Vertrag warneben der Militärfrage die wichtigste von allen Angelegenheiten,eine wahre Lebensfrage des Staates. Frankreich hatte 1860 einenHandelsvertrag mit England auf freihändlerischer Grundlage ge-schlossen und näherte sich nun mit ähnlichem Angebote Preußen.Hier hatte man längst das Bedürfnis einer Reform des Zoll-vereinstarifs, ergriff dazu diese Gelegenheit und am 29. März 1862wurde in Berlin der Vertrag abgeschlossen.
Als Preußen aber nun den übrigen Mitgliedern des Zoll-vereins den Vertrag mitteilte, damit sie sich entscheiden könnten,