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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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614 Der Kampf zwischen Österreich und Preußen und die Begründung zc.

und jene süddeutsche Demokratie, die sich in ihrem traditionellenPreußenhaß und mit den Schlagworten von 1848 im Widerstandegegen diese Verträge vereinigt hatten, in denen die Anfänge einesDeutschen Reiches gegeben waren, wurden überwunden durch dieWucht der wirtschaftlichen Interessen und die Kraft der nationalenBegeisterung. Ende Oktober und Anfang November 1867 wurdendie Verträge auch in Bayern und Württemberg angenommen, unddiese Thatsache ließ Bismarck in der amtlichen Presse mit großemNachdruck feiern, sorgfältig bemüht, alles zu vermeiden, was dieEmpfindlichkeit der Süddeutschen Hütte reizen können. Namentlichließ er in derProvinzial-Korresvondenz" vom 6. November mitallem Ernst betonen, daß es verkehrt sei, in der Annahme derVerträge einen Sieg Preußens zu sehen.

Das Erfreulichste und Hoffnungsreichste in dem Verlauf der letztenWochen und Tage ist gerade der Umstand, daß Siiddeutschland sich mitklarem Bewußtsein und mit offener Hingebung für die nationale Gemein-schaft mit dem deutschen Norden entschieden hat und daß man überall zuder Erkenntnis gekommen ist, wie nur in dieser Gemeinschaft äußerer Bor-teil nicht bloß, sondern auch eine würdige politische Stellung für die süd-deutschen Staaten zu finden ist . . . ES bedürfte eines so tief eingreifendenAnlasses wie die Gefährdung des Zollvereins , die Gefährdung deS deutschenBolkes in seiner wirtschaftlichen Wohlfahrt und Entwickelung, um die wirk-liche Stimmung des Bolkes zum Ausdruck gclaugen zu lassen.

Der uuwillkürliche Durchbruch des öffentlichen Geistes hat die bedeut-same Wendung der Dinge in Bayern und Württemberg herbeigesührt: nichtein Sieg Preußens , sondern ein Sieg des eigenen Geistes der Bevölkerunghat den Widerspruch des Reichsrates iu Bayern, den Widerspruch dersogenanntenVolkspartei" in Württemberg überwunden. Und das Er-wachen dieses unbefangenen Geistes hat nicht bloß die jüngst drohendenGefahren beseitigt, sondern läßt uns auch mit Hoffnung auf die weitereGestaltung der Beziehungen zu Süddeutschland blicken. Man darf jetzthoffen, daß der Bolksgeist in Süddeutschland sich nicht mehr kalt und fremdoder gar feindlich gegen Preußen verhalten, sondern daß statt des altenSondcrgeistes sich immer tiefer ins Volk hinein ein echter deutscher Volks-geist cutwickeln werde, der in Preußen und Norddentschland die Genossengleicher nationaler Gefühle und Hoffnungen begrüßt. Ebenso wie derbayerische Minister bei dem vorjährigen Friedensschlüsse dem Grafen Bis-marck in tiefster Erregung sagte!jetzt weiß ich, daß in Ihrer Brust einecht deutsches Herz schlägt", so wird ganz Süddeutschland immer ernsterund tiefer empfinden, daß in Preußen und in Norddeutschland vor allemdeutsche Herzen schlagen.

Also nicht um Sieg oder Niederlage zwischen Norden und Süden