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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Kaiser und Reich.

den Titel Deutscher Kaiser führen solle. Zugleich erließ er eineProklamation, die dem deutschen Volle verkündete, daß das DeutscheReich als Kaisertum erneuert sei.

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An das deutsche Volk!

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, nachdem diedeutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtethaben, mit Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahrenruhende deutsche Kaiscrwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nach-dem in der Verfassung des Deutscheu Bundes die entsprechenden Bestimm-ungen vorgesehen sind/ bekunden hiermit, daß wir es als eine Pflicht gegendas gemeinsaine Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe der verbündetendeutschen Fürsten und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürdeanzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der KronePreußen - fortan den Kaiserlichen Titel in allen unseren Beziehungen undAngelegenheiten deS deutschen Reiches führen und hoffen zu Gott, daßes der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahr-zeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segens-reichen Zukunft entgegenzuführen. . . .

Uns aber und unsern Nachfolgern an der Kaiserkrone wolleGott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein,nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern undGaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt,Freiheit und Gesittung.

Ein einfacher kirchlicher Akt gab dem Gefühle der Demut Aus-druck, das den alten König unter seinen Triumphen uie verließ,und der Ort selbst, das Schloß Ludwigs XIV., und die Fürsten ,Offiziere und Mannschaften aller deutschen Lande, die mit ihrensiegreichen Waffen den Kaiser umgabeu, liehen dem Akte einenGlanz und eine Größe, die alle Krönungsseste überstrahlte. Mauwurde an die alte germanische Verfassung und ihre Königswahlenerinnert, als die Heereversammluug zugleich die regierende Volks-versammlung war. Diese deutschen Männer, die sich kämpfendden Weg bis zur feindlichen Hauptstadt gebahut hatten, erschienenals die Vertreter des deutschen Volkes, um zu diesem Akte, der dieErneuerung des deutschen Kaisertums vollendete, die Vollbord zugebeu. Und sie gaben diese Zustimmung und Bestätigung wiederwie in alter Zeit, nicht mit Abstimmung, sondern mit Jubelschreiund Waffeuklirren, unter dem Rauschen der Heerfahnen, die übermancher Walstatt siegreich geweht hatten.