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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Am Ende des Jahrhunderts.

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der Finanzen prüfen könnten, sie würden in lauten Jubel aus-brechen. Freilich wir selbst haben keineswegs immer das Gefühlder Befriedigung. Viele der Besten verzehren sich in Zweifel und, Zorn, weil gar manches Gute der früheren Zeit verloren ist undweil selbst die Kräfte, mit denen die großen Erfolge errungenworden sind, der selbständige Bürgersinn, die ideale Geistesrichtungund die begeisterte Liebe zu Freiheit und Vaterland, hier von derWillkür der Verwaltung und von dem Bedürfnis nach Hofgunstund Auszeichnung, dort von dem Schlachtruf plumper Interessen-Politik erdrückt zu werden scheinen.

Aber wir dürfen nicht vergessen, daß nach so gewaltigen Ereig-nissen und Fortschritten ein Rückschlag eintreten mußte. Die Bürgerhaben sich an die Aufgaben und Pflichten des nenen Staates nochnicht gewöhnt, sie leben noch in den alten Anschauungen undkämpfen nm alte Schlagworte, sie haben vor allem nicht gelernt, daßder neue Staat mit den ausgedehnten politischen Rechten dem Bürgerauch Pflichten auferlegt hat, die nicht ungestraft versäumt werden.Auch werden wichtige Verhältnisse und Aufgaben, die durch dasDasein des Reichs und durch seine Entwicklung zu einer Weltmachtgegeben sind, die einen Welthandel zu schützen hat, in ihrer Bedeutunguoch nicht verstanden; wie denn die Ausbildung der Flotte vielfachnoch mehr vom Standpunkte der Opfer, die sie fordert, als vomStandpunkte der Aufgaben, die sie erfüllen muß, betrachtet zu werdenpflegt. Ein ähnliches Moment der Unruhe liegt darin, daß wirnoch mitten in dem Prozeß stehen, der die Kräfte und Einrichtungendes alten absoluten Staates, vor allem des preußischen Staates, mitden Forderungen des neuen, konstitutionellen Staatslebens verbindennnd ausgleichen soll. Die aus jener Zeit stammende eigentümlicheund wertvolle Organisation unseres Beamtenstandes, die in keinemanderen Staate eine Analogie findet, die glückliche Selbstverwaltungunserer Städte, die Freiheit, in der und durch die unsere höherenSchnlen und Universitäten ihre reichsten Früchte hervorgebrachthaben, und andere wichtige und ehrwürdige Verhältnisse sind da-durch in verschiedener Weise bedroht. Die größere Macht desStaates giebt seinem Eingreifen naturgemäß stärkeren Nachdruck,nnd die reicheren Mittel, mit denen er den Bedürfnissen der An-