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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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I. Das Erbe.

Auch die Kirche hatte dies seit Jahrhunderten gethan, sowohl diekatholische als die von ihr hierin völlig abhängige protestantische.

Vielleicht sind Andere, Sachkundigere, Gelehrtere glücklicher alsich: Bisher habe ich noch nicht die Stelle bei einem katholischenKirchenlehrer vergangener Jahrhunderte gesnnden, welche die Forde-rung ausspricht, die kirchliche Kunst solle von den Gläubigen, sollevon der Kirche selbst gepflegt werden. Selbst in den Tagen desBilderstreites handelte es sich bei der Erörterung nur darum, in-wieweit die Anbetung der Bilder gestattet sei. Das Bild ist heilig,insofern es an heilige Personen und Gegenstände erinnert, zn diesenhinleitet, an diese mahnt. Nicht das Bild an sich wird verehrt,sondern das, was es vergegenwärtigt. Ob es dies nun gut oderschlecht, künstlerisch oder unkünstlerisch thue, ist und war der Kirchein der Theorie völlig gleichgültig. Die Holzpuppe in bnntem Mode-flitter kann nach ihrer Anschauung ebenso erbaulich auf den Men-schen wirken als das größte Kunstwerk. Sie kann unter UmständenWunder thun, jenes vielleicht nicht. Ich weiß nicht, ob es einwunderthätiges Bild giebt, welches zugleich als hervorragendes Kunst-werk bekannt sei: erinnerlich ist mir keines. Ja denkt man die Ge-danken weiter, so steht die Puppe mit Recht höher in der erbaulichenWirkung. Denn das Bild ist das Fenster, durch das der innerlicherleuchtete Gläubige in die Welt realer Seligkeiten schaut, in eine Weltvollkommenen Daseins. Je weniger das Fenster selbst das Augefesselt, desto reiner kann der innere Blick durch dieses hindurch dieEwigkeiten sehen. Die griechische Kirche hat so unrecht nicht, wennsie den Malern kurzweg Neuerungen, Willkür verbietet und allemRealismus zum Trotz festhält am uralt heiligen Typus, der auseinem idealistischen Bilde ein meist bewußt häßliches Symbol gewordenist. Denn die künstlerische Schönheit fordert für sich Aufmerksamkeit,sie zieht mit dem Auge die Gedanken ans das schöne Menschen-werk und lenkt ab von der reinen Vertiefung in den Gottgedanken.Es ist mithin zum mindesten kein Zufall, keine Barbarei, daß dieKirche in der Knust eine Gefahr sah; daß sie diese nur dort duldenwollte, wo sie zur Erläuterung der Heilswahrheiten diene; und daßdie strengen protestantischen Gemeinden, die Gemeinden des all-gemeinen Priestertnms, sich die Kunst ängstlich vom Halse hielten;