Druckschrift 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
Seite
19
Einzelbild herunterladen
 
  

Volkskunst und gebildete Kunst.

Ü'

unzählige Male hervorgeholt worden, ein ergötzlicher Beweis dafür,wie weit das Hören vonein Mannes Red'" zu falschem Urteilführt. Ein Beweis ferner gegen den Irrtum der Zeit, welche glaubte,die Schönheit sei das höchste Gesetz der bildenden Kunst bei denAlten gewesen, dem sich alles hätte unterordnen müssen; diese habenie durch Leidenschaft, dnrch die ihr entsprießende Verzerrung dieSchönheit durchbrochen. Die Malerei als nachahmende Fertigkeitkönne die Häßlichkeit zwar ausdrücken, meinte man zu Lessings Tagen, als schöne Kunst wolle sie aber diese nicht ausdrücken. Ihrgehören wohl alle sichtbaren Gegenstände zu, aber sie verschließesich vor jenen, welche unangenehme Empfindungen erwecken.

Das ist das volle Verneinen der charakteristischen Kunst, demsich in Rom auch Goethe angeschlossen hatte. Ihm war klar ge-worden, daß er sich geirrt hatte, wenn er als junger Mensch dasZusammenstimmen der Formen anch bei der Kunst des Wilden fürSchönheit genommen habe. Er that Buße in Sack und Asche vorder Antike, er holte sich in Rom die klassische Absolution nnd kammit dem neuen Jahrhundert nach Deutschland zurück, um es mitdem Eifer des Jungbekehrten für die in ihm zur Klarheit gewordeneLehre von der bedeutungsvollen und schönen Form als Ziel allerKnnst zu gewinnen. Er glanbte neues zu bringen aus dem Verkehrmit den römischen nnd neapolitanischen Künstlern, mit Tischbein,Kniep, Trippel, Hackert. Er brachte die Rokokostimmung mit, diein der Luft lag, die Sehnsucht nach Nnhe, nach Einfachheit, nachStille, nach Schönheit, nachdem solange im Barock die rücksichtsloseKraft geherrscht hatte.

Auch was Mengs in seinen damals so laut gefeiertenGe-danken über die Schönheit" vorbrachte, ist im Grunde das Evan-gelium, welches schon die Carracci im 17. Jahrhundert verkündethatten: Man solle in der Natur die Schönheit suchen, wie es dieAlten thaten. Es wird uns leichter gelingen zum Ziele zu kommenals ihnen, da sie uns den rechten Weg, wie es zu thun sei, bereitsgewiesen haben. Wir handeln als Thoren, wollten wir Uns nichtder von ihnen gebotenen Handreichung bedienen; wir handeln ver-messen, wenn wir uns über die Größten zu erheben suchen und

eigenwillig andere Wege wandeln. Wohl aber haben auch die

2*