Die Einfachheit in der Baukunst. —
Mengs und der gute Geschmack.
Gerade in der Baukunst ist der Wandel des Geschmackes amauffälligsten. Zwei Hauptströmungen, die alte barocke Neigungnach Eigenartigem und das klassizistische Gewissen, das auf Regel-richtiges drängte, sind seit den Anfängen der Renaissance und derBekanntschaft mit Vitruv im Kampf. Laugsam, erst nach ver-schiedenen siegreichen Vorstößen der Eigenwilligkeit, siegte die Regel.Seit unter Ludwig XV. das Rokoko als mit dem „großen" Ge-schmack unvereinbar befunden worden war, unter der PompadourSchutz mau die edle Einfachheit zu Pflegen begann, drängte alleszum Siege der Regel. England hatte die Führung übernommen.Dort war der klassische Geist mit Leidenschaft aufgenommen, vonden Vornehmen mit stürmischer Begeisterung gepflegt worden. Erbegegnete sich mit dem Sinn für das bürgerlich Einfache. Es istkein Zufall, daß die Engländer, vorher die eifrigsten Pfleger desStudiunis Palladios , uun die eigentlichen Entdecker der Altertümervon Atheu wurden. Wood, Adam, Stuart und Revett geben ihreberühmten Werke über die Antike heraus, die Europa lehreu, wiedie Tempel der Blütezeit hellenischer Kunst eigentlich beschaffenwaren: die Beweiskraft der Wirklichkeit gegenüber den theoretischerklügeltet: Systemen der Alten war unwiderstehlich: die Bau-künstler begriffen rasch, daß sie ihre Kunst auf neue Grundlagenstellen müssen, wollten sie wirklich klassisch sein. Die Strengeblieb die gleiche, nur das Ziel der Strenge, das Gesetz, nach demman urteilte, hatte sich geäudcrt: den palladianischen Geschmack lösteder hellenische ab.
Schon längst wies man dem Geschmack eine starke Rolle zu.Für Mengs ist er zwar ein untergeordnetes Werkzeug iu derBeurteilung der Kunstwerke, da er oft Fehler nicht erkenne undfür vollkommen nehme, was thatsächlich nicht so sei. Er ist ihmabhängig von der gebotenen Kost, er kann durch stark anreizendeGaben verdorben, durch schöne und einförmige zu zarter Fühlunggewöhnt werden. Es giebt daher vielerlei Geschmack: Einen großen,der das Kleine vernachlässigt; und einen kleinen, bei dem das Großeschwindet; einen schönen, der die guten Eigenschaften einer Sachezeigt; und einen schlechten, der die bösen hervorkehrt.
Der gnte Geschmack ist daher abhäitgig von der Fähigkeit, die