Druckschrift 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
Seite
28
Einzelbild herunterladen
 

2^

I. Das Erbe.

schiedeneu Künsten und sucht durch Scharfsinn von den Regeln denrechten Gebrauch zu machen. Lessiug kam es also vor allem daraufan, daß die ins Krant geschossenen Regeln und er war sicher,daß es auch für die Malerei solche iu aller Mäßigung und Genauig-keit gab nicht von einem Gebiet aufs andere ohne weiteres über-tragen würden. Er wendet sich gegen die Schildernugssucht der Dichterund die Allegoristerei der Maler, sein Buch wollte Grenzsteineaufstellen, beschränken, eindämmen.

Viel lebenswärmer ist des englischen Malers, ist ReynoldsStreben. Er kam von einer weit ausgebreiteten, vielseitigen Kunst-kenntnis, von studieureichen, mit offenem Auge genutzten Reisen:er spricht vor jungen Künstlern, die er nicht einengen, sondern denener die Herzen ausweiten wollte; er will nicht zurückhalten, sondernanregen. Der Jüngling soll zunächst im allgemeinen darstellen lernen :dann sich bemüheu, Vorräte von Ideen aufzuhäufen, um diese nachGelegenheit verbinden und verändern zu können; dabei sich aber wohlhüten, von dem vom Lehrer gewiesenen Pfad abzuweichen, seinemeigenen Urteil mißtrauen; bis er endlich das richtige Verständnisselbst erlangt habe, gelernt habe die Regel zu beherrschen, die ihnbisher beschränkte. Jetzt kann er die Kunst selbst an der Natnrmessen; sie nach dieser verbessern, was fehlerhaft, ergänzen wasdürftig erscheint; ja, er kann nun seine Einbildungskraft erproben,sich der Begeisterung hingeben und bis an die Grenzen der freiestenUngebundenheit schweifen.

Freilich, nicht jedem uud den meisten nur spät wird diese Frei-heit zn teil. Die große Hauptarbeit des Künstlerlebens ist dasSammeln, das Verarbeiten des fertigen Stoffes. Das Weitere seiselten mehr als ein Verbinden der angesammelten Vorstellungen.So mißt denn auch Reynolds die Künstler der Vergangenheitweniger nach dem Eigenen als nach der Fülle des Gemeinsamen.Er empfiehlt den Anfängern jene zum Studium, welche den Stoffbeherrschen, in Farben, Gedanken und Empfindungen sich auszudrückengewohnt siud. Uud da ist ihm denu Lodovico Carracci der voll-kommenste durch ungekünstelte Breite von Licht und Schatten, Ein-fachheit der Farbengebung, die zwar die rechten Werte festhält, dochohne die Aufmerksamkeit auf Nebendinge zu lenken. Er stellt seinen