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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Lcjsing und ReynoldS.

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Meister als Maler über Tizian und den künstlichen Glanz von dessenSonnenlicht, er stellt ihn über viele andere, weil er die Natur nichtpeinlich nachbilde, kein bloßer Nachahmer der Natur sei; deuuein solcher werde nie etwas Großes hervorbringen. Das sei derWeg gewesen, den Bernini einschlug. Winckelmann , anch alsGegner im Banne des Zeitbeherrschers stehend, erzählt, wie derJungreise nach Vollendung seines Meisterwerkes, der fliehendenDavhne an der Antike Schönheiten sand, welche die Natnr ihmnicht gezeigt hatte; wie diese ihm Wegweisern: im Sehen von Reizengeworden sei, welche er bei der nnbelehrten eigenen Vertiefung indas Leben nicht gefunden hatte.

Auch Reynolds schließt aus der Erfahrung darauf, daß dieNaturnachahmung nicht zur Schönheit führe. Er beruft sich dabeiauf alte Schriftsteller, namentlich auf Cicero . Die Größe der Be-gabung des Künstlers zeigt sich auch sür ihn in der Fähigkeit, dasRechte in der Natur zu finden; Schönheit der Kunst ist ihm dasVermögen, das Häßliche der Natur zu vermeiden und auf Erdendas Schöne aufzugreifen, fich über alle seltsamen Formen, örtlichenGewohnheiten, Eigentümlichkeiten und Einzelheiten hinwegzusetzen.So gewinnt der Künstler die Erfahrung in jenen Grundformen,von welchen abweichend man stets ins Häßliche fallen mnß; in jeneilFormen, welche die im Naturstudinm unermüdlichen und durch diesezur Erkeuutuis der vollkommenen Gestalt gelangten alten Bildhaueraufgestellt haben als ein unvergängliches Erbe und Ziel für allefolgenden Kunstzelten. Nur sorgfältiges Erforscheil ihrer Werkewird uns in den Stand setzen, die echte Einfachheit der Natur zuerreichen. Denn sie waren von Hans ans in Sitten und Denkeneinfacher und standen der Natur näher, unmittelbarer gegenüber;während der moderne Künstler, ehe er die Wahrheit in den Dingeilsehen kann,erstdenvomZeitgeschlilack allsgebreiteten Schleier tüsten muß.

Es genügt diese Darzulegung, nm zu zeigeil, lvie sehr diebeiden Künstler, der Deutsche Meugs und der Engländer Reynoldseines Sinnes waren. Beide geistig die Söhne der Carracci , Schülereiner damals bereits zweihundert Jahre alten Lehre, welche freilichnach ihrer Ansicht nicht immer eingehalten, nun aber im Begriffwar, nen aufzublüheu, neneu Segen zu verbreiten.