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I, Das Erbe,
Die Zeit, in der Mengs und Oeser den deutschen „Kunst-richtern" als Sterne ersten Ranges glänzten, fühlte sich trotz ihrerVerehrung der Alten keineswegs als eine solche des „Verfalles",wie wir sie wohl nennen. Dessen ist Goethe wieder ein wichtigerZeuge. Obgleich er erst eben von Rom zurück kam, faud er, daßden bescheidenen, wenig ruhmredigen Deutschen zwar der Glaubean sich selbst schwer falle, daß die jungen Künstler, vom Ruhmder Ausländer geblendet, diesen nachzuahmen suchten; aber dieDeutschen zeigen sich in dem, was er das Wissenschaftliche der Kunstnennt, so brav und unterrichtet, daß sie mit den besseren Künstlernder Nationen, welche sich den größten Nnhm anmaßen, wohl zuvergleichen seien. Sie hätten etwas Wackeres, Rechtliches, Gutes;meist edles und zartes Gefühl. In Hinsicht der Reinheit, Schön-heit, des Wertes der Gedanken, der natürlichen, bündigen Darstellung,der Erkenntnis des Gebietes der Knnst und ihrer Grenzen, kurz indem, was den echten Geist der Kunst, das wesentlich Nützliche inihr ausmache, die unendlichen Geistesfähigkeiten der Menschen bildenund veredeln helfe — darin schien ihm das damals in Deutschland Geleistete dem Gcpriesensten gleichzustehen.
Es wurde dies Urteil gelegentlich der Besprechung des vonden Propyläen aufgestellten Wettbewerbes für zeichnerische Entwürfeausgesprochen. Wer es ruhig betrachtet, der wird sich wohl überdas Selbstgefühl Wundern, mit der hier die Kritik sich väterlichlobend über die Kunst stellt, der wird an der Betonung des Wissen-schaftlichen und des Nützlichen Anstoß nehmen, wenn er im Gegensatzzu Goethe der Ansicht ist, daß beides nichts mit dem Wesen derKunst zu thun haben; der wird erkennen, daß immer noch Goethejene Ästhetik treibt, welche aus dem Barock zum Rokoko, aus diesen«zum Zopf führte, daß er sich mit dem ganzen Gewicht feines Namensfür damals schon ins Schwanken kommende Ideale einsetzte.
Es ist bezeichnend für ihn und für die von ihm geleitete Ge-sellschaft der Weimarer Frennde der Kunst, daß sie sich nicht andie Großen im Schaffen, sondern an die Mittleren wendete. Erwollte heben, nicht erwecken; er hatte die Absicht, die Kunst nichtüber sich selbst hiuwegwachsen zu lassen, da er ihr ja Schützerbleiben wollte. Ein wissenschaftlich litterarischer Hochmut spricht