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II, Die Klassiker,
verteilt werden müssen, daß eine durch sich selbst gefällige Einheitfür die Empfindung entstehe. Nnr in der Beobachtung dieserRegeln kauu der Kolorist zu seinem wahren Ziele kommein ZurPereinigung der größten Wahrheit und Schönheit des Kolorits iminzelnen mit der größten Schönheit nnd Harmonie im ganzen.
Das war der ästhetische Ballast, der Peter Cornelius vonHause aus mit auf den Weg gegeben wurde. Als begeisterter Be-wunderer Goethes machte er, nach mehrfacher Beteiligung an denvon den Weimarischeu Kunstfreunden ausgeschriebenen Wettbewer-bnngeu, wie Retzsch sich an die Darstellung des Faust. Er wollteihn im Geist des 16. Jahrhunderts wiedergeben uud warf sich eifrigauf die Erkenntuis der Kuust jeuer Zeit. Viele Gedanken aus alteuHolzschnitten sind mit in seine Entwürfe übergegangen, viele An-regung dankt er Füßli, Im ganzen aber schuf er ein Werk vonmerkwürdiger Größe, von erstaunlichem Ernst, dem bald in denNibelungen ein zweites solgen follte, das in mancher Beziehungreifer, wenn anch weniger ursprünglich ist.
Man hat bei Füßli wie bei CorueliuS den Geist Michel-angelos entdecken wollen. Wollte man boshaft fein, so könnte mansagen, das Urteil der Zeit entschied, ob Rafael oder Michelangelo das Vorbild gewesen sei, am Umsang und au der' Bilduug derWadcnmuskeln- runde Wade ist Rafael, solche mit scharf aus-geprägtem doppeltem Kopf Michelangelo . Es ist jedensalls auf dieStilbestimmungen nach dem Vorbilde nur insofern etwas zu geben,als man daran das Urteil, nicht das Kunstwerk messen kann. DieHerknnft der Formen bei Cornelius hat eine andere Qnelle. Erstudierte vor allem die Kupferstiche nnd Holzschnitte deS Düssel-dorfer Kabinetts und war nicht in das Wesen des deutschen Mittel-alters, sondern iu das der Renaissauce eingedrungen. Nicht Dürer und Michelangelo , sondern die Kleinmeister regten ihn an, durch siekam der italienische Zug iu seine Kunst. Man kann durch Cor-nelius ganzes Schaffen hindurch Motive aus Flötuer, Stimmernnd anderen Meistern des 16. Jahrhunderts verfolgen. Nur ein-mal wird er wirklich gotisch: bei der Darstellnng einer in Holz ge-schnitzten Madonna aus dem Blatte, das Gretchen im Gebet szeigt.Es ist vielleicht die widerspruchsfreiste Figur der ganzen Reihe,