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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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II. Die Klassiker.

müchtigt hatten; der römische Stil erschien ihm bereits als Verfall,als ein gefährlicher Verführer ins Gebiet des gefttrchteten Zopfes.Die gedruckten Quellen, aus welchen Schinkel wenigstens für dieerste Zeit seines Schaffens entlehnen, sich belehren konnte, warenganz außerordentlich arm. Und doch waren sie ihm Leitziel undletzter Inhalt seiner formalen Bestrebungen. Es ist erstaunlich,wie er das Wenige, was er kannte, zu beleben verstand, wie er mitdem wenigen Weine, der ihm zur Verfügung stand, immer neueKrüge zu füllen wußte.

Dies Wuchern mit feiuem Psuudc ist sicher eine große künst-lerische That. Seit dem Bau der Louvrefassade, seit Perrault unddessen Nachahmern, wie z. B. in Berlin Knobelsdorff einer war,ist in Deutschland keine Säule geschaffen worden von so feinemMaßempfinden, wie jene Schinkels; keine Giebelfront, von sovöllig harmonischer Wirkung, von so sorgfältiger Durchbildung inden Einzelheiten uud so genauer Berechnung der Wirkung durch dieVerhältnisse. Es ist auch nie gelungen, das starre Motiv derGiebelfront so wohlthuend mit dem Bau zu verbinden, den eSdeckt, die Einheit zwischen den beiden Teilen so widerspruchslos zuerreichen, als etwa am Berliner Schauspielhaus und außerdem anKlenzes Glyptothek. Nicht die Phantasie macht Schinkel zu einemgroßen Meister, sondern der feine Sinn für Verhältnisse, die wohl-gebildete Form, die gesellschaftliche Anmut, welche ihn auch im Verkehrauszeichnete. Er war und blieb zwar sein ganzes Leben preußischerGeheimrat. Das ist eine Würde, vor der viele zu starke, viele zugeringe Achtung haben. Im Geheimrat steckt ja ein starkes StückBeschränkung des Menschen, Verzicht auf die äußere Kraftentwick-lung, Verschleierung der gesunden Lebensäußerungen. Aber imWerden der Nation hat er seine Stellung, seine unleugbar hoheBedeutung. Er ist in seiner Pflichterfüllung und in dem selbst-entsagenden Genügen ii? dieser ein Stück praktischen KantschenGeistes. Es ist nicht der Gehorsam, in dem dieser sich äußert, nichtdie kriegerische Seite des Menschentums, sondern die Erkenntnis derNotwendigkeit, dem gemeinen Ganzen zu dieuen. Friedrich der Große spricht sein Wort mit hiueiu. Uud so sind denn Schinkels Bautennicht nur in der Absicht geschaffen, das Schöne zu leisten, sondern

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