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II. Die Klassiker.
fremden Völkern erborgt, künstlich erklügelt, nie, wie Vitruv lehrt,vom Holzbau entlehnt, sondern durch den Zweck gesetzlich bestimmtnach dem gesunden, scharfen und natürlichen Darstellungsvermögender Hellenen, sie ist daher alsbald jedem mit den Sinnen der HellenenSchauenden als Sinnbild des Tragens, Stützens, des sich Er-Hebens, Absinken?, frei Endenden, des Heftens oder Verknüpsens,des Frcischwebens erkennbar gewesen.
Die Art und Weise, wie Bötticher nun die einzelnen Gliedererklärte, naher zu betrachten, ist Sache der Fachwissenschaft. Denästhetischen Gennß an der Form findet er im Verstehen der durch dieKunstform gegebenen Erklärung des inneren Zweckes der einzelnenund aller Formen am Bau. Denn die Form selbst sei weder schönoder unschön; sie werde es erst dadurch, daß sie den Begriff wahrund schlagend darstelle. Eine schöne Form schaffen ist ihm daher: ihrSchema technisch plastisch vollkommen für ihren Begriff entwickeln.So wird die Formbildung der Willkür entrissen und zur allgemeingültigen, unantastbaren Wahrheit erhoben.
Ein Rausch der Begeisterung, aufrichtiger ehrlicher Bewun-derung durchzog die Bauwelt und auch die Ästhetik. Endlich hatteman sie, die lang gesuchte Wahrheit, das Wesen der Schönheit, inder bisher der philosophischen Zergliederung gegenüber sprödestenKunst! Es ist leicht, heute sich darüber zu wundern, daß Böttichernicht mehr Einwände fand. Einer liegt uns heute zunächst: Schönist nach Bötticher nur die Form, die man versteht; vor Bötticherverstand man sie nicht, selbst nicht im Rom des Augustns; also warvor ihm die hellenische Knust uicht schön; man täuschte sich damalseinfach darin, wenn man sie fchön fand, denn das war theoretischnicht möglich, da man sie ja falsch verstand!
Aber nicht solche Erwägungen stürzten Böttichers Lehre, son-dern die Erkenntnis der Archäologie, daß alle Voraussetzungenseiner feinsinnigen Theorie falsch seien. Es wurde mit aller Sicher-heit durch die Spatenarbeit des von Schliemann eingeleiteten neuenAufschwunges der Altertumswissenschaft thatsächlich erwiesen, daßdie Griechen von anderen Völkern ihre Formen entlehnten, daß denStcinformcn der Holzbau vorbereitend vorausging. Die vonBötticher als notwendig erklärte Malerei fehlt an sehr vielen Stellen,