Die Tischbein.
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an den alten Gegenständen die Vollkommenheiten erkannt habe,dadurch zn dem richtigen Urteit gekommen sei, Anatomie, Perspektive,Geschichte nnd Mythologie erlernt habe, werde der Schüler dieFähigkeit znr Verfertigung von Gemälden erlangen.
Das klingt freilich herzlich hausbacken nnd schulmeisterlich.Aber im Lebeu gestalteten sich die Dinge doch anders. Das be-weist I. H. Wilhelm Tischbein in seiner Lebensbeschreibung. Ge-bildet an den Niederländern und Italienern, w daß er srüh einetüchtige Kennerschaft erhielt, voll Frische der Aufsassuug für allesSchöne, geübt mit raschem Pinsel Bildnisse zu schaffen, dadurch zuvoller Beherrschung der Hand, zu sicherem Können im Malen ge-laugt, trat er dem allverchrten Lehrer der Physiognomik, Lavater ,entgegen nnd vertraute sich willig der Leitung des gelehrten Menschen-kenners an. Er konnte ihm nicht wahr und treu genug zeichnen,ja beide begegneten sich in der Ansicht, daß da? Bildnis eine Ur-kunde sei, also malerische Wirkung gar nicht beabsichtigen solle, daja der Züricher Gelehrte vor allem Untersuchungen am Bilde machenwollte. Seine Anregung sührte den Maler darauf, das Wesen derTiere zu ergründen, ein Werk herauszugeben, in welchen die Eigen-schaften des Menschen durch — ich möchte sagen — Belegstellenaus der Tierwelt im Bildnis erläutert würden. Er suchte dasMenschliche im Tier, den Choleriker uud Sanguiniker im Fleisch-fressenden, den Phlegmatiker im Pflanzenfresser u. s. f. Er wurdedadurch das Vorbild der Tiermaler der Folgezeit, Kaulbach nichtausgenommen. Aber endlich kam es anch hier nur auf dasselbehinaus, wie in der ganzen Kunst der Zeit: Auf ein Hineintragenunkünftlerifchcr, wissenschaftlicher Fragen selbst in das für diesesprödeste Gebiet, ans die Beschränkung der Kunst, ja aus den Verzicht ansdiese zu gunsten von gelehrten Untersuchungen, Vergleichen, Schlüssen.
Immerhin aber trat die realistische Absicht hervor. Auchdieser Tischbeiu wurde Akademiedirektor und zwar in Neapel ; aucher hielt seine Antrittsrede, in der er sagte: Vor der lebendenNatur und vor der Antike sind wir alle Sünder!; in der er ent-schieden auf das sorgfältige Zeichnen des Aktes Gewicht legte. Er,der sich so gern der Naschheit seines Schaffens rühmte, zwang
seine Schüler, vor eiuem Modelle möglichst lauge zu verweilen.
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