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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Gurlitt.

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Freilich konnte er, der im Düsseldorfer Akademietou Befangene,nicht erkennen, daß dies Veraltete die Jugend war, die die Ham-burger brachten; und daß Karl wie mein Vater nicht in Düssel-dorf zu jenen originellen Koloristen wurden, sondern daß sie alssolche dorthin kamen.

Die Freiheit von beengender ästhetischer Schranke war ihnenallen eigen. Wie freute sich mein Vater sein Lebenlang der Hilf-losigkeit, in der sich die Ästhetiker vor seinen Bildern befanden: Siekonnten sich des Eindruckes der wahrheitlichen Kraft nicht entziehenund glaubten den Maler zu ehren, indem sie ihn als einen Stil-genossen Rottmanns feierten. Die felsenfeste Überzeugung, daß dieGelehrten Esel seien, nicht der einzelne, sondern die Gesamtheitder in die Fachwissenschaften sich Verkrümelnden, hat ihn sein Leben-lang nicht verlassen. Denn er besaß einen Künstlerstolz, einenStolz ans das Künstlertum, dessen Größe sich nur an seiner per-sönlichen Bescheidenheit messen ließ; in ihm war eine sinnige Klar-heit, die ihm alles das unpraktische Grübeln und Katalogisierenverhaßt machte, das Ausbauen von Schachteln, in welche die künst-lerische Wahrheit eingepackt werden soll. Nicht daß er schmollendabseits gestanden hatte. Die Besten seiner Zeit waren seine Freunde,Gelehrte wie Künstler. Aber er fühlte in seinem Schaffen denHalt, der ihn gelehrte Unterweisung über das Wesen der Kunst kurz-weg ablehnen ließ. Er fand im sinnlichen Erkennen, in der künst-lerischen Geschlossenheit der Weltauffassung die höchste Weisheit,die ihm keine Zergliederung des Erkannten ersetzen konnte. Er fandin ihr auch das reichste Glück. Und wenn im Laufe der Jahreseine Kunst auch nicht zum siegreichen Durchbruch kam, wenn imLebenskämpfe die Kraft seines Anstrebens erlahmte, einer Weltgegenüber, die mit hundert Gründen das, was er für das Höchstehielt, für untergeordnet, das, woran er die stärksten Anstrengungeneinsetzte, für nicht ideal erklärte, so wüßte ich doch keinen zunennen, dem das Schaffen ein größeres Glücksgefühl bereitet habe,bis an sein Ende, unbekümmert um den schwindenden Beifallder Welt.

Nordischer Realismus ist stets eng verknüpft gewesen mit derPhantastik. Wer die Mystik der Natur begriffen, sich ihr unterzuordnen