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V. Die Romantiker.
Görres die Frage besprach, waren zwanzig Jahre vergangen. DerKönig von Preußen, der fünf bis sechs Millionen katholische undacht bis ueun Millionen protestantische Unterthanen hatte, wolltedie Schmach vom Protestantismus wegnehmen, das; er all die Zeitseiner Dauer hindurch kein nennenswertes Kirchengebäude aufgeführthabe. Die Schmach — wenn sie bestände — wnrde erst zu Endedes Jahrhunderts gesühnt. Aber die Protestanten waren hinsichtlichder Schmach ganz Görres' Ansicht: Will man gute Kunst, so mußmau sie außerhalb des Protestantismus suchen. Und man tröstetesich mit dem falschen Trost, die Gotik sei christlich, nicht katholisch,beide Kirchen seien aus dem christlichen Mittelalter hervorgegangen;also dürse auch der Protestantismus die Gotik als eigeu genießen.
Die vergangenen Jahrhunderte hatten sich in den alten Kircheneingerichtet; die katholischen wie die protestantischen. Man brauchteEmporen, man brauchte eine neue Kanzel und um diese sich fügendeSitzplätze. Der Protestantisinns brachte neue liturgische Gewohn-heiten und Gesetze, der Katholizismus hatte die seinigen kaumminder geändert. Man gestaltete die Kirchen so um, daß sie demGeschmack und den Gebranchsanfordernngen der Zeit entsprächen.Man hatte 'dabei im 16., 17., 18. Jahrhundert die entschiedeneAnsicht, daß das Kirchengebände dem Gottesdienst unterzuordnensei und schente sich nicht vor starken Eingriffen, um es dessen Be-dürfnissen gerecht zu machen. In die gotischen Kirchen kam einfremder Geist, die jungen Jahrhuuderte äußerteu ihre Lebenskraft;Geschichte, Sinnesart, Geschmack, künstlerische Gestaltungskraft vonüber drei Jahrhunderten füllten die alten Werke mit ihren Spuren,ihren Bekuuduugeu. Man sieht diesen nun freilich an, daß sie altsind, und daß sich ihr Zweck teilweise geändert hat. Man siehtaber auch, wie die Geschlechter immer wieder aufs Neue von demlieb gewordenen Gvtteshause geistig Besitz nahmen, die große Erb-schaft der Väter nen erwarben, nm sie anch mit dem Herzen zubesitzen.
Freilich waren die Einbaute» uicht stilgerecht; wenigstens nichtin dem Sinne, daß der Meister aus der Zeit Cranachs, Rem-brandts oder Schlüters sich mühte, wie ein Michel Wohlgemuth zuschaffen; sich geplagt hatte mit dem Kopfe seines Urgroßvaters zu