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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Die Überlieferung und die Kunst.

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sein Werk bauen solle. Das Göttliche aber zn schaffen, zu über-treffen, wird er nicht wagen können. Die folgerichtige Dnrch-sührnng dieser Ansicht führt dahiu, daß sich der Künstler derÜbermacht der Überlieferung glänbig unterwirft. Die Kirche duldetdie Kunst, aber nicht die der Menschen. Nur mit dem Verbotindividueller Ausfassung, eigenen künstlerischen Denkens wird mandie Subjektivität aus der Kunst heraus zu treiben vermögen.Es waren zwischen 1800 und 1840 künstlerische Leistungen in derkirchlichen Kunst möglich. Sie bestanden in der geistigen und tech-nischen Wiedercrobernng des Mittelalters. Seitdem ist's sehr stillgeworden in der katholischen Welt. Ein Erschlaffen, die Erkenntnisder Ermüdung ist eingebrochen. Die Unlust der Künstler sich nntcrdie Überlieferung zu beugen, in ihrem Sehen uud Empfinden nichtein Ich zu seiu, souderu ein Anderer, ein Alter, haben bewirkt, daßdas geschäftige Handwerk, die Fabrik für kirchliche Knnst sich blühendentfaltete. Sie ist für's Geld traditionell, so viel es verlangt wird;sie kann es so unendlich viel besser sein als der, welcher erst einePersönlichkeit auszugeben hat. Die Schablone herrscht in der katho-lischen Kirche . Dutzendweise kann man die Entrüstnngsschreie geradekatholischer Kunstfreunde hierüber hören, freilich solcher, die nichtdie Zustimmung der geistlichen Oberen haben, aber meinen, daß dietheologische Auffassung von der Stellung der Kunst zur Kirchedieser nichts hilft, jene vernichtet.

Die Kirche, die sich so laut als Schützerin und Mutter derKünste ausrief, wirkt mithin entmutigend auf die Künstler insofern,als sie Selbstempfundenes zu verwirklichen streben. Die roh materia-listischen Erscheinungsformen, in denen die Gnadenbilder sich nurzu oft gefallen, die offene Brust, in der man das von Schwerterndurchbohrte Herz sieht, die in kostbaren Modekleidern prangendenJungfrauen und heiligen Kinder, die Grotten von Lourdes stehenauf den Altären, genießen die Verehrung als göttlicher Eigenschaftenvoll, während all die innige Gläubigkeit eines in seinem Gestaltuugs-eifer nur seinem Verhältnis zu Gott dienenden Künstlers es nur nachlangeu Kämpfei? erreicht, daß seiu Werk an heilige Stätte gelangt.An ihm sieht jeder das Menschliche, hier zweifelt die Geistlichkeit amheiligen Wert, während sie das überlieferteHäßliche nilbesehen hinnimmt!