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VI. Die histvrische Schule.
hineingelebt hatten. Overbeck, indem er sich selbst in einen Winkelstellte und alle Läden um sich schloß, damit man ihn in jenerWelt der Seligkeiten nicht störe; Cornelius, indem er mit wagenderSeele über die Kunst hinaus ius Überirdische griff. Nebeuihm war uoch der Wiener Carl Rahl und war Genelli einenähnlichen Weg gewandelt. Genelli als ein nie ganz Anerkannter,ein Gewaltmensch in seiner äußeren Lebenssühruug und in seinerKunst, desseu starke und schöne Sinnlichkeit am besten in reinsinulicheu Gegenständen zum Ausdruck kommt, zu deuen ihm nichtdie künstlerische Auffassung, wohl aber die Flüssigkeit der freienDarstellung fehlte. Er hatte eine gute Art, das Gewagteste zu sageu.Denn mir will scheinen, als sei die Sinnlichkeit genau so sehr einAnreiz zur Kunst, wie irgend eine andere Eigenschaft des Menschen;uud das einzige Mittel, ihr gerecht zu werden, sei die uuversch leierteDarstellung. Da setzt Geuelli eiu. Seine Reihen von Zeichnungen,wie das Leben einer Hexe, eiues Wüstlings, sind Offenbarungendieser seiner stärksten Kraft. In einer Zeit, in der der Kunst diehandwerklichen Mittel geläufiger waren, hätte er sich wohl auf mäch-tigen Flächen ergangen, denn es lag in ihm ein Zug zum Gewalt-samen. Er sesselt seine Gestalten scheinbar, um sie ihre Fesselnzerreißen zn lassen. Sie arbeiten mit allen Muskeln, sie strotzenvon Fleisch uud Fülle, sie überbieten sich in Beweglichkeit. DieFessel aber, die ihn selbst bindet, das ist der schöne Umriß, diezeichnerische Linie, das Streben nach Klarheit des Nnfbanes. Jeweniger er es vermag aus diesem heraus zum Sehen der Dinge inder Welt, zu der räumlichen Entwickelung der Form zu kommen,desto stürmischer bewegt sich der Umriß auf der engen Fläche. Mansieht mit Staunen einen polternden Kampf in den in so unschein-baren Linien gezeichneten Gestalten. Daß ein Mann von Genellisschon rein körperlichen Kraft, den die Kenntnis der Pinselführungund die Gewöhnung an große Aufgaben riesige Wände beherrschengelehrt hätte, nie zur Entfaltung kam, das lag weniger in derUngunst der Verhältnisse, als an seinem Ungeschick, sich in diesezu findeu: Eiu allzu Gesunder iu einer Welt der Vatermörderund Stege an den Beinkleidern.