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nicht gleich waren. Sobald Kaulbach nicht für den heimlich kichern-den Kreis seiner Freunde arbeitet, traut er selbst seiuer Sinnlich-keit nicht. Es ist jene Claureus, die Mimili-Stimmung, indie er hier verfällt. Das Röckchen der Mädchen, den Mantel derHaremsschönen der persischen Großkönige rückt er um einen Zoll höherals er liegen sollte: man sieht ein Stück Wade oder Busen, Hinternoder Geschlechtsteil mehr als die Sachlage nötig macht. Das istreizend, das nannte man gottvoll, das mache dem ganzen WerkeFreunde. Und wenn einer wagt, darüber zn hadern nnd zugreinen wegen der paar Zoll Weibersleisch, so ist er eben einfachein Schulsuchser, ein Eiferer. Darf der Künstler nicht das Nacktedarstellen?
Das ist das eine, die augenfällige Form der KaulbachschenLüsternheit. Die zweite ist seine tiefe Verbeuguug vor der Schön-heit, nämlich vor dem von der Ästhetik nicht Faßbaren, was ge-fällt: Weichheit der Linie, wohlgebildetes, die Muskelhärte und denKnochenbau umhüllendes Fett, Glätte der Haut, Regelmäßigkeitder Gesichtszüge. Das macht so Vielen einen Menschenkörper schon.Zeichnet man dazu den Kopf kleiner als er im Leben ist, die Händeund Füße zu zierlich, die Gestalt überschlank, so kann man sicher sein,daß sie für ideal genommen wird. Nicht jeder hat den Geschmack,solche Jdealgestalten hervorzubringen und zn beleben. Es besteht ent-schieden eine besondere Begabung dazu. Kaulbach hatte sie in hohemGrade. Er hatte vier, im besten Fall fünf Menschensorten zu seinerVerfügung — auch der Bösewicht, welcher stets Franz Liszt ähnlichsieht, ist schön von Körper — und mittels dieser erfüllte er dieWelt mit Freude und Entzücken.
Er war ein Meister des Ausbaues; das Zusammenstellen vonGestalten, so daß große Linien das Bild gliedern und beherrschen,wurde ihm viel leichter als Cornelius, ging ihm viel flüßiger vonder Hand. Er war beholfener als jener, er ließ sich auch wohlmehr von den Alten helfen. Damals galt Lebrnn für einen Aus-bund von Verkehrtheit und Hohlheit. Aber Kaulbach scheint ihndoch sehr fleißig studiert zu haben. Hinsichtlich des Entwurfes ister vollkommen sein Schüler. Man sollte die Knnst des 19. Jahr-hunderts viel mehr daranf untersuchen, als bisher geschehen, in-
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