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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

zu glatten Farbe, das Streben, das Tier zur Darstellung mensch-licher Empsiudnngen zu mißbrauche«, es eine Rolle spielen zu lassen.Grandville ist viel schlagfertiger, viel beweglicher als Kanlbach.Die alten Holzschneider thaten so unrecht nicht, bildlich nur an-deutungsweise darzustellen, was mit der Genauigkeit an Wahrschein-lichkeit verliert. Kühl und verstandesmäßig leer sehen uns dieBlätter an, die noch dazu durch die abscheulich lederne Behandlungdes Kupferstiches mißhandelt wurden. Von ihnen sagte man einst, sieseien wahre Volkskunst. Aber ich habe nie ein Blatt aus diesen: Werkiu einer Bauernstube gesehen, während ich dort hundertfach jenenderben, unkünstlcrischen Holzschnitt sah, auf welchem die Tiere desWaldes den Jäger zu Grabe tragen, wahrlich ein Gedanke vonmehr Tiefe als in irgend einer Zeichnung Kaulbachs! Es ift alsoim Volk die Lust an der Tierdichtnng vorhanden. Aber sie mußunbcsangeu, nicht gespickt mit geistreichen, weltgeschichtlichen oderparteipolitischen Beziehungen sein. Ist schon Goethes Reinecke keinVolksbuch geworden, wie es die Vorläufer im 15. Jahrhundertwaren, so ist Kaulbachs Art, den Witz zu überwitzeln, erst rechtnur für die geschaffen, die geistig neben ihm standen. Man hörtboshaftes Meckern, nicht lcmtes Lachen aus den Zeichnungen.Und nur dieses steckt an!

Nichts hat KanlbachS Rnhm so verbreitet, wie seine Zeich-nungen zu Goethes Francngestalten. Die Vervielfältigung durchPhotographie brachte Ton in die Blätter, welche der ganz imArgen liegende deutsche Kupferstich zu geben verlernt hatte, machtensie durch Jahrzehnte zum Zimmerschmuck, im Album zum eisernenKunstbestand deutscher Bürgerhäuser. Wer, der diese Zeit mitmachte,hat sie nicht mit Freude betrachtet? Adolf Stahr schrieb damals,1865, sein Buch Goethes Fraucngestalten aus gleicher Absicht wieKaulbach. Man wollte Goethe erklären, ihn dem Volk näher bringen,indem man ihn nach der neuen Empfiuduugsmode wieder znftutzte.Andere Künstler griffen das gangbare Geschäft auf: Das Jllustrations-wesen kam mächtig in Schwung; die Fülle des Gebotenen war es, dievon der Lust darau cudlich heilte: Zuckerwaren und selbst in Speckuud Paprika gebrateue Rebhühner sind kein so angenehmes Essenfür alle Tage wie Brot oder Rindfleisch. Aber wenn man danach