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VI. Die historische Schule.
Durm in Karlsruhe , mn nur einige Namen zu nennen, Kunst-gelehrte, wie der Basler Jakob Burckhardt , bildeten diese Ver-ehrung in schöpferische Thaten um. Burckhardts Cicerone, eine An-leitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens, erschien 1855; er istnoch heute in aller Künstler, namentlich in aller Architekten Hand,das einzige kuustwisscnschaftliche Handbuch, das wirkliche Dauerbehielt, wohl iu den verschiedenen Auflagen vielfach überarbeitetwurde, doch in seiner Hauptrichtung unverändert blieb. Der Grundaber, warum es diese Dauer behielt, liegt darin, daß es nichtästhetisiert, sondern vou einem für vielerlei Schönes gleichmäßigEmpfänglichen geschrieben ist, der ohne viel Umschweife sagt, wie'sihm vor dem Kunstwerk nms Herz ist, doch dabei das Urteil nichtauf eine Theorie und nicht bloß auf das Gefalleu, sondern haupt-sächlich auf das Verstehen aus der Zeit heraus gestellt hat.
Ferstels erster großer Erfolg war, daß er 1854 für die Wiener Votivkirche den preisgekrönten Entwurf schuf; es war eine Nach-bildung französischer Kathedralen, eine große Leistung, wenn dieNachbildung wirklich eine solche sein kann. Mir hat die Kirche jeder-zeit ein wenig den Eindruck gemacht, als sei sie ausDragaut; als dürfeman sie nicht ganz für voll nehmen, da sie ja nur ein sehr großesnnd sehr schönes Spielzeug sei. Mau muß eben nicht vergesse»,wann sie entworfen wnrde, nämlich zu einer Zeit, da es nochein Verdienst war, die Gotik nicht ganz in den trockenen Formenzn handhaben, die Viucenz Stntz am Dom zu Linz vom Rhein nachOsterreich versetzte, oder mit der Mocker den Prager Dom vollendet.
Später wurde Ferstel der eigentliche Führer der Renaissancein Wien . Mir will scheinen, auch hier sei das Gute seines Schaffensnicht neu, als stehe er weit unter Semper und selbst uuter manchemseiner minder berühmten Zeitgenossen. Ich wenigstens habe einunglückliches Gedächtnis hinsichtlich Ferstels Bauten! Mir ist immer,als habe ich sie schon gesehen, weun ich das erste Mal vor sie trete;nnd wenn ich meines Weges gezogen bin, erinnere ich mich nichtmehr klar, wie sie aussehen. Der Fehler, der dies Vielen gewißuicht gerecht erscheinenden Urteils hervorrief, liegt wohl zweifellosan mir, da andere gerade durch die Phantasie des gefeierten Wienerssich mächtig angeregt fühlten.