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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

Wettbewerben, selten ohne Erfolg. Als ich in seiner Werkstättearbeitete, schuf er an einer Kirche in Portugal und einem Bundes-palast für Bern. Er war aus deu Grenzen Deutschlands heraus-getreten, nicht nur in seinen Zielen, sondern auch trotz seinerBerliner Grnudstimmung in der Kunstauffassung. Die einfach große,dem Pariser Louvre sich in den Hauptgliederungen anlehnende Schau-seite seines Reichstages zwang die Preisrichter über alle Bedenkengegen den Grundriß hinweg. Unter dem Drucke der begeistertenÖffentlichkeit sprachen sie ihm gegen den Widerspruch der eigentlichenFachleute den Preis zn. Er hätte sich schwerlich lange die ihmentgegengetragene Gunst zu erhalten vermocht. Aber es ist immer-hin ein sehr bezeichnender Beweis für die am Eigenen schwankendgewordene Stimmung in Berlin , daß eine so wenig aus dem Rahmender dort üblichen Formengebung hinausgreifende Arbeit, lediglichdurch den Schwung eines einfach großen Gedankens, so unbedingtden Sieg erfechten konnte.

Auch in der Folge fehlte Berlin der packende, schlichte undgroße Bau. Die besten Thaten der Berliner Baukunst liegenauf einem anderen Gebiete, in der Durchbildung des Grundrisses,namentlich im Wohnungsbau. Obgleich in den Zeiten der Central-heizung, der elektrische:? Beleuchtung, der Fahrstühle die Anforde-rungen an Bequemlichkeit des Wohnens außerordentlich gestiegensind, obgleich der Aufwand immer größer wird, das Naumbedürfnistrotz der Kostbarkeit des Platzes wächst, haben doch die BerlinerKünstler, wie etwa Kaiser von Großheim, alle sich bietendenSchwierigkeiten nur zur Steigerung der Anstrengungen geführt,ein vornehmes Haus wohnlich und ein wohnliches Haus vornehmauszugestalten. Die Knust, auf das Wesen des Bauherren, aufseine kleinen und großen Wünsche einzugehen und diese nicht alsBeschränkung, sondern als ein Mittel zur Vertiefung der künstle-rischen Aufgabe zu machen, ist zu keiner Zeit der Welt höher ent-wickelt gewesen. Wenn Künstler, wie Otto March , Jhne undandere noch die Vorzüge der englischen Hanseinrichtung hinzu-sügteu, so ist dies nur uoch eine Bemehruug der Saiten, aufwelcher der deutsche Baumeister zu spielen vermag, ohne daß er zufürchten braucht, in Nachahmung zu Versalleu. Denn das deutsche