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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Berliner Wohnhäuser. Eisenbau.

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Wohnhaus birgt in sich eine Reihe von so stark ausgeprägtenForderungen, daß englische und amerikanische Anordnungen es wohlbeeinflussen, uicht aber in seiner selbständigen Entwickelung auf-halten können. Denn ein Herr ist anerkannt, der vor verstiegenerIdealität und Stilechtheit behütet, das thatsächliche und auf jedenTeil seines Rechtes eifersüchtige Bedürfnis.

Dies ist es, was den Stilstreitereien ein Ende bereitete. Langetobte der Kampf über die Frage, welche Rolle dem Eisen undGlas in der Banknnst zufallen werde. Der Londoner , der MünchenerGlaspalast, die Ausstellungsbauteu, die Bahnhofshallen ließen ihnimmer aufs ueue entbrennen. Am Eisen scheiterte der Stil, scheitertedie Ästhetik. Wird es möglich sein, den neuen Baustoff fchönund dabei doch sinngemäß zu verwerten? Die Theoriker derBaukunst suchten ihn zu bearbeiten, um an ihm die bildende Krastihrer Gedanken zu bethätigen. Je nach dem Erfolge verkündeteman bald die Zeit des nenen Stiles, bald die Unfähigkeit desEisens, künstlerische Wirkungen zu ergeben. Das Eisen kann,als Stütze verwendet, sich mit sehr bescheidenen Querschnitten be-gnügen. Das dürftige, dünne Aussehen dieser bot allen Künsten desAusschmückens Hohn. Man empfand sie als zerbrechlich. Mochte dieRechnung des Ingenieurs und die Erwägung des Kenners der Eigen-schaften des Eisens auch noch so überzeugend beweisen, daß diese dünneSäule mehr trage als, jene dicke von Holz oder Stein, gegen diekünstlerische UnWahrscheinlichkeit war damit nicht anzukämpfen. Dasdünne Gerüst des eisernen Trägers, der eisernen Brücke war alshaltbar berechnet nnd erprobt. Die Empfindung kounte jedochdiese rechnerisch gewonnene Überzeugung nicht auf sich nehmen; siesträubte sich gegen das Wissen. Dem Bau des Ingenieurs schienenschon deshalb höhere künstlerische Leistung verschlossen, weil ernicht als Denkmal wirken könne; weil er, wenn schon schwer von derHaltbarkeit, so doch erst recht nicht von deren Dauer zu überzeugenkönne. Denn die künstlerische Überzeugung stammt nicht aus demerwägenden Verstände, sondern aus dem Gefühle für die zur Er-füllung des Zweckes notwendigen Massen. Die architektonischeGliederung als angefügte sinnbildliche Form kann hierbei nurwenig nützen. Sie ist gut, um die Aufgaben des einzelnen Gliedes