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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

zu erklären, kann aber nicht dahin wirken, ihre dauernde Erfüllungglaubhaft zu inachen.

Man suchte nach Stilen, welche zarte Massen verwendeten.Der maurische, der gotische waren für Eisenbauten beliebt. Dochkam es ini Grunde zwischen Architekten uud Ingenieur zu einerimmer tieseren Entfremdung. Das Künstlerische, das dieser derKonstruktion anfügte, empfand jener, der die billigste und knappesteForm suchte, zumeist als Ballast, als unnütz, ja als schädigend.Der Ingenieur ließ im besten Falle den Architekten um seinenEntwurf einen Mantel hängen, und zwar mußte dieser dort ange-bracht werden, wo er das Wesentliche, den inneren banlichen Zu-sammenhang der Eisenteile, nicht störte.

Wo immer, sagt Streiter in seinem Buche ArchitektonischeStreitfragen, wo immer Eisenkonstrnktionen in bedeutenden Ab-messungen offen liegen und für sich allein auftreten, da zeigen siesich schlechterdings spröde gegen künstlerische Gestaltung. Die Hoff-nung, daß die Zukunft das bis zur Stunde nicht Erreichte bringenwerde, könne mit Sicherheit als trügerisch bezeichnet werden.Denn die Möglichkeit, eine Eisenkonstruktiou durch ihre Eiuzel-zwccke versinnbildlichende Formen zu einem nicht mehr allgemeinstarren, sondern zu einem in jedem Gliede belebten Körper aus-zubilden, sei durch die Artung und Zusammeufügung des Stoffesausgeschlossen. Die einzige solche Möglichkeit der künstlerischen Aus-gestaltung der Werkform liege darin, daß die Glieder des Körpersdurch den Ausdruck eben ihrer Körperlichkeit uns ihr Zusammen-wirken zu einem Zustande wirklichen Gleichgewichts fühlen lassen.Aber die fleischlose Dünnheit und steife Trockenheit der einzelnenBauglieder, die durch Berechnung gegebene Gebundenheit der An-ordnung, die Menge sich durchkreuzender fast körperloser Linien,deren Sinn uud Zweck uur dem Fachmanne, nicht aber dem Gefühlsaßbar sei all das lassen uns die Eisenkonstruktionen künstlerischgleichgültig erscheinen. So erkennt zwar Streiter an, daß manch-mal den Gesamtumrißlinicn oder den durch sie ermöglichten riesigenJnnenräumen ein gewisser schönheitlicher Reiz nicht abzusprechen sei;eine bedeuteude, echt künstlerische Stimmung hervorzurufen werdeaber auch der großartigsten Eisenkonstruktion nicht gelingen.