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VI. Die historische Schule.
daß es einen gewissen Grad von Fleischigkeit gebe, unter den manin der Kunst nicht herabgehen dürfe. Die Sprödigkeit des Eisensgegen die bisher übliche Kunst ist nicht gegen die Kunst selbst,sondern nur gegen deren vom Stein entlehntes Empfinden gerichtet.Dieses ist aber nicht ein logisch entwickeltes, sondern ein vom vor-handenen Stoff entlehntes; unser Gefühl für Verhältnisse, für dasFleisch in der Baukunst ist vom Stein entnommen, also von einemStoff mit bestimmten Eigenschaften. Die Baukunst von China undJapan entlehnte ihr Empfinden vom Holz; weil sie ein folgerichtigund eigenartig durchgeführter Holzbau ist, erschien sie uns sehrlange als unschön, als spröde gegen höhere künstlerische Gestaltung.Der Chinese mag ähnlich über unseren Stockwerkbau denken, dersich wahrlich als wenig geeignet für höhere Durchbilduug er-wiesen hat.
Beim Eintritt in große Eisenhallen habe ich an mir und ananderen deutlich eine starke künstlerische Erregung bemerkt. Es hilftdort die Größe des Ganzen dazu, die Einzelform zu unterdrücken, esherrscht dort völlige Klarheit über den Wert der Einzelglieder, diesich durchkreuzenden, fast körperlosen Linien verlieren in ihrer viel-fachen gleichartigen Anordnung das Verwirrende, sie werden hin-reichend deutlich begriffen und wirken ruhig. Es hat uicht vielZweck, diesen Eindruck als minderwertig zu bezeichnen. Sind wirdoch auf dem besten Wege, daß die Mehrzahl des Volkes und eingroßer Teil der Banenden, diese Eindrücke als ästhetisch befriedigendhinnehmen. Daß sie anderen, kunsttheoretisch Gebildeten uicht be-hagen, könnte diese sehr leicht in einen Widerspruch mit der fort-schreitenden Welt bringen, bei dem sie unbedingt unterliegenwerden.
Es handelt sich also nicht um die Frage: wie bilden wirdas Eisen, damit eS unserem Empfinden entspreche! sondern umdie viel wichtigere: wie bilden wir unser Empfinden, daß es demEisen entspreche?
Der Ruf jener, die auch im Brückenbau Schönheit forderten,gipfelte in dem Wunsch, daß die Bauart als haltbar leichtverständlich sei. Das bot die Hängebrücke, im Grunde zwei überdas Thal gespannte Taue oder Ketten, an denen die Fahrbahn