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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Brückenbau.

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aufgehängt war. Eine einfache naturgemäße Linie, die als natur-gemäß jedermann einleuchten mußte. Freilich war in ihr dieStandfestigkeit gering. Nicht nur, daß die Hängebrücke thatsächlichschwankte, sie erweckte noch mehr den Eindruck des Schwankens.Ihre Linie war dnrch die angehängte Last bestimmt, sie mußte dnrchÄnderung der Last bei der Benutzung, durch Wagen, Eisenbahnen,Menschen verändert werden, wie jedes freigespannte Tau bewies.

Die Kunst des Ingenieurs ging anch aus anderen Gründen aufeine steife Anordnung aus. Die Röhrenbrücken, die Trägcrbrückeuboten diese. Aber gegen sie sprach die Empfindung, daß diese Forinin ihrer Geradlinigkeit, ihrem weiten freien Schweben die Kräfteverschleiere, die Lasten und deren Tragen nicht sinnfällig mache.Für Deutschland fand sich in der Mainzer Rheinbrücke, bei derenEntwurf gerade auf das Einstimmen in die herrliche Landschaftbesonderes Gewicht gelegt wurde, zuerst die allseitig befriedigendeForm: Es war die Bogenbrücke, die Übertragung des als haltbarschon vom Steinbau her empfundenen Bogens auf das Eisen.Hartwich schuf diesen vielgerühmten und für die weitere Ent-wickelung tonangebenden Bau seit 1861.

Auch hier war es nicht so sehr der Wandel der Formen, alsvielmehr der Wandel des Empfindens für die Werte des Eisens,der mit den Formen versöhnte. Mit immer größerer Ruhe konnteder Ingenieur darauf vertrauen, daß die durch die Rechnung ge-fundene Form, also die mathematisch richtige, auch vom Beschauerals überzeugend hingenommen werde. Die großartigen Eisenwerkeder Folgezeit fanden widerspruchsfreie Annahme. Selbst den früherabgelehnten Balken wußte Georg Mehrtens in der Überbrücknngder Weichsel bei Fordon in eine als künstlerisch empfundene Form zubringen; die wunderliche Gruudgestalt der Auslegcrbrücke KlausKopeke in Blasewitz bei Dresden in einer Weise anzuwenden, die zwargerade unter den Fachleuten vielfach ästhetisch beanstandet wnrde, dieaber doch durch die Klarheit, mit der die im Van wirkenden Kräftedargelegt sind, auf mich einen beruhigenden Eindruck macht. Ichkann zwar niemandem dies Gefühl als ein notwendiges ansinnen,aus dem Maugel dieses Gefühles ihm keiuen Vorwurf macheu,sondern nur feststellen, daß sich bei mir jene Angewöhnung voll-

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