Protestantischer Kirchenbau.
— Stellung znr Gotik. —
Semper.
471
der Ansicht, daß die fromme mittelalterliche Kunst für den Prote-stantismus die geeigneteste ^sei, und daß jedes Abweichen von denGesetzen edler Gotik ins Unkirchliche führe. Wie die Reformation nichteine neue Kirche gebracht habe, fondern nur eine Reinigung deralten von Mißbrauch, so sei sie auch Erbe des Mitteltnltersund der ganzen kirchlichen Entwickelung seit den Tagen der Offen-barung, gleich anderen christlichen Gemeinschaften. Also nicht mirdie altchristliche Knnst, sondern auch die aller folgenden Zeiten seinicht katholisch, sondern allgemein christlich. Alles ist ener, hieß esmit dem Apostel, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes!Mit diesem Spruch dürfe sich der evangelische Baumeister den katho-lischen Grundriß aneignen. Und das sagte nicht etwa einer, der dieKirche verspotten wollte, sondern ein in Kunstfragen hochangesehenerGeistlicher. Ein anderer, der als Kunstgelehrte sehr verdiente PastorHeinrich Otte sagt: Hinsichtlich des Bautypus gebe es nichts zuprotestieren; man bedürfe keines neuen für evangelische Kirchen; eswären die Bestrebungen danach ein Unding, da es hier nur an-zuerkennen und wiederzuerlangen gebe. Der gotische Kirchenbangehöre uicht zn den schriftwidrigen Irrtümern; es sei die Frage alsoeinfach unnötig, wo die Evangelischen mit ihren Planungen an-zuknüpfen haben, nämlich an die höchste Blütezeit kirchlicher Bau-thätigkeit, au die Gotik. Die Katholiken freilich setzten dem mitmehr Recht entgegen, daß die mittelalterliche Kirche eine andere ge-wesen sei kraft der Fortentwickelung der Überlieferung als die früh-christliche nnd daß sich das Banwesen mit diesem Wandel nnd ihmgemäß entwickelt habe; daß also die Gotik nicht eine christliche Kunstknrzweg, sondern eine christkatholische sei; ebenso wie der Orienteine christlich-griechische entwickelt habe. Die Reformation habe ge-rade das beseitigt, was die Gotik schuf, nämlich die mittelalterlicheForm des Gottesdienstes, stehe also im Gegensatz zur Gotik.
Das Schwanken der Ansichten, welche die Durchführung desDomes in Berlin hinderte, fand ihren Ausdruck beim Wettbewerbum den Entwurf der Nikolaikirche in Hamburg , die 1842 der Braudzerstört hatte. Die Aufgabe war hier klarer. In Berlin hatte manimmer noch mit Nebengedanken zu kämpfen. Denn der Bau eiuerKirche ohne eigentlich entsprechend große Gemeinde, zn der aber