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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

Preußeiis surnruus sxiseopus gehörte, die ein Staatshaus ebensowie ein Gotteshaus werden sollte, bot schlechte Gelegenheit zur Ent-wickelung der Grundzüge protestantischen Kirchenbaues. Anders inHamburg , wo es einfach galt, eine große Pfarrkirche zu schaffen, dienicht mit Nebenzwecken belastet war. Die sechs Fachmänner desHamburger Preisgerichts gaben Semper den ersten Preis, den Eng-länder» Scott k Moffat den dritten. Unter dem Einfluß desKölner Dombaumeisters Zwirner wurde dieser Beschluß umgestoßenund erhielt Geo. Gilbert Scott den Auftrag, den Bau aus-zuführen.

Semper hatte einen frei ausgebildeten romanischen Stil ge-wählt, doch sich mit Absicht von strenger Nachahmung ferngehalten.Seiu Grundriß ist eine Nnsbildnng der barocken Frauenkirche inDresdens ein rnuder Kuppetraum, in den Achsen Ausbauten, drei-seitig für die Emporen, an der vierten für den Chor; in den Eckendie Treppen. Der Achsenausbau dem Chor gegenüber wurde zueiucm Schiff verlängert, weil von hier aus Altar und Kanzel ambesten zu sehen sind. Den Ausbau beherrscht die Kuppel über demHauptraum, dem Gemeindesaal. Sempers Begleitschreiben zu seinemEntWurfe zeugt für die volle Klarheit, mit der er sich aus demBedürfnis heranS die Aufgabe entwickelt hatte und aus der ersich als der Schüler aller vorhergehenden Zeiten, auch des Barock,fühlte. Unsere Kirchen, sagt er, sollen Kircheu des 19. Jahrhundertssein; man soll sie in Zukunft nicht für Werke des 13. Jahrhundertshalten; man begeht einen Raub an der Vergangenheit und belügtdie Zukunft. Am schmählichsten aber behandelt man die Gegen-wart, denn man spricht ihr das Dasein ab und beraubt sie dermonninentalen Urkunden.

Semper drang, obgleich geborener Hamburger, mit seiucu An-sichten nicht durch; der Engländer baute eine dreischifsige gotischeKathedrale mit reichem Chorhaupt. Wenn sich Sempers Warnung,daß man die Zukunft durch eiuen solchen Bau belüge, nichtbewahrheitete, weuu wir sehr deutlich erkennen, daß die Kirchemodern ist, so beruht dies nicht auf Scotts Verdienst. In seinerspäteren Entwickelung hat dieser wohl gelernt, den alten Stil sreierzn behandeln. Hier aber ist er stilvoll. Das Moderne am