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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Semper. Das Eisencicher Regulativ.

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Bau ist nur die Unzulänglichkeit, das Unbehagen, das einenin fremdem Kleide überkommt. Ein Kandidat, F. Stöter, machtesich 1844 zum Mundstück der öffentlichen Meinung, die unbedingtfür die Gotik war. Mit dem Abstände wird, wie mir scheint,dieser Mann immer mehr genannt werden, als eine Art Herostratan der Entwickelung der Baukunst zur modernen Auffassung undam Deutschtum gegenüber dem Engländer. Aber man muß sichdie Zeit mit ihrer Schwärmerei für das Mittelalter vergegen-wärtigen, man muß seheu, wie sich in ähnlichen Gedanken die prote-stantische Geistlichkeit zusammenfand, wie die Vereine für christlicheKunst, das Stuttgarter Christliche Kunstblatt geradezu zur Ver-tretung dieser Ansicht gegründet wnrden. Christliche Knnst ist diemittelalterliche. Mit der Reformation beginnt der Verfall. Daßder Protestantismus sich selbst damit am schmählichsten behandelte,kam den Herren nicht zur vollen Klarheit. Die Ansicht saß fest inallen Gemütern: Künstlerisch habe die Kirchenernenerung nur zer-störend gewirkt; es gebe keine protestantische Kunst!

Die herrschenden Ansichten kamen in dem von Abgeordnetenvieler deutscher Kirchenregierungeu bearbeiteten Regulativ für denevangelischen Kirchenbau 1856 in Eisenach zur Feststellung. DerBerliner Stüler, der Stuttgarter Leins, der Hannoveraner Hasewaren die maßgebenden Fachleute; die Ergebnisse waren ganz imSinne der Nomantik. Man legte Gewicht auf die dem evangelischenGottesdienst angemessene Grundform des länglichen Vierecks; wiesauf die bedeutsame Anlage im Kreuz hin; duldete den Central-bau; empfahl als Stil den gotischen, romanischen und frühchrist-lichen, vorzugsweise aber den gotischen. Fest hielt man vor alleinan der Ausbildung eines vom Schiff getrennten AltarranmeS.Die Emporen wünschte man vermieden zu sehen. Nnr Stüler tratfür diese ein.

Man war in den Kirchcnregierungen des Geredes von hohenGrundsätzen und künstlerischen Idealen sichtlich müde und wollteklare Gesetze haben, uach denen man die vorgelegten Entwürfe ab-lehnen oder annehmen könne. Und man genehmigte denn aller-orten fleißig Banentwürfe nach dem Eisenacher Regulativ. Wodie Mittel halbwegs ausreichten, kam man auf die Kreuzform.