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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Das Suchen nach baulicher Wahrheit. Die Wiesbadener Kirche. 477

fand hier in Otto March einen Genossen, der sie nicht als eineästhetische, sondern als eine kirchliche zu erfassen verstand, inK. E. O. Fritsch einen Mann, der den Gedanken mit großem Eifernnd nicht minderem Wissen dahin führte, daß 1893 das von derVereinigung Berliner Architekten herausgegebene Werk erschien:Der Kirchenbau des Protestantismus, thatsächlich eine Schöpfungallein Fritschs, da er den zu seiner Unterstützung berufenen Aus-schuß sehr bald an tiefem Eindringen in den Stoff überholte.Der in Berlin 1893 abgehaltene Kongreß für protestantischenKirchenbau führte eine weitere Kläruug herbei.

Durch den Pastor Veesenmeyer in Wiesbaden wnrde für diedortige Kirche ein neues Programm aufgestellt. Sie sollte das Ge-präge eines Nersammlungshauses der feiernden Gemeinde, nicht einesGotteshauses im katholischen Sinne tragen; einheitlich im Raum, nichtin Schiff und Chor geteilt sein; die Kanzel sollte in der Mitte desBaues liegen, wo auch die Feier des Abendmahles stattzufinden habe,also der Altartisch vor der Kanzel stehen. Otzen erhielt den Auftraghierzu. Schnell beholfen wie er ist, schuf er 1892 eiue Central-anlage mit vier Chören um den rechtwinklichen Raum uud setzte iueinen Chor Altar und Kanzel, in die anderen drei die Emporen,hinter den Altarchor die Türme. So ward aus der Kirche einerheinische Kreuzanlage mit sehr kurzem Langhaus, nur mit demUmstände, daß der Altar im Langhaus steht und daß dort, wojedermann, selbst der Kunstuukuudigste, den Altar, wo er das ewigeLämpchen flimmern zu sehen erwartet, die Rückseite der Kirchgängerherausschaut; daß also die Entwickelung des katholischen Chorhauptesin einer ihrer vornehmsten Gestaltungen ganz einfach für die Glie-derung eines Saalbaues augewendet wurde. Das erscheint mir alshohler Formalismus, als ein solcher, der mit fertigen schönen Formenarbeitet, ohne sie auf ihren Wert zu prüfen. Urprotestantisch imInnern, sagte das Christliche Kunstblatt, urkatholisch im Äußern,eine architektonische Lüge, das ist der Humor davon!

Bei dem Wettbewerb sür die sehr bescheidene OsnabrückerKirche 1892 war ich Preisrichter. Ich wandte mich gegen einenPlan, der wieder einen chorartigen Abschluß für den Gemeiudesaalwühlte, hauptsächlich weil dort in einer vorwiegend katholischen Stadt