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VI. Die historische Schule.
künstlerisch machen durch architektonischen Aufwand, dnrch Heranziehenvon Formen, die ein anderer, stärker künstlerischer Gottesdienst fürseine Zwecke schuf. Ju mir zn vielen protestantischen Kirchen katho-lischer Form erscheint die Gemeinde nur wie in ermieteten Räumen,wie zu Gaste. Das ist eine falsche, eiue heuchlerische Kunst, einesolche, wie sie die Mitte unseres Jahrhunderts überall hervorbrachte.Der formale Idealismus, die Schönheitstrunkeuheit führt überallzur Lüge, so auch hier. Vollkommen kann nur der Kirchenbau sein,der aus dem Gottesdienst entsprungen ist. Wem dieser nüchternerscheint, der wird eine nüchterne Kirche schaffen. Er wird uuter denGleichgesinnten viele finden, die in dieser Nüchternheit die Voll-kommenheit sehen. Die Reformierten, welche ihre „Betställe" bauten,thaten dies nicht in der Absicht, Häßliches, sondern vom Geiste derWeltlichkeit Freies, edel Einfaches, Schönes höherer Art zu schaffen.Sie verabscheuten die gotischen Kathedralen als häßlich. Wer imGottesdienst Wärme und künstlerische Anregung findet, der schaffeaus diesem Empfinden heraus. Er schaffe Formen streng in Er-füllung des Zweckes und schiele uicht links und rechts. In derSelbstausprügung liegt der Mut des Künstlers, in der scharfenFeststellung des Zweckes die Schönheit des Architekturwerkes. SelbstFritsch, der sicher eineu Tischler tadeln würde, dessen Waffenschrankwie ein Speiseschrank aussieht, sieht nicht ein, warum ein Predigt-saal nicht wie ein Priesterchor aussehen solle, beide seien dochkirchlich! Das Neue, Eigene, Selbständige kann rasch kommen, sowiedie Kirchenregieruugen wenigstens den Grundsatz klar anerkennen,daß die Liturgie das Programm sür den Bau mache, nicht der Stil;und daß die Überlieferung nicht mit Luther unterbrochen fei, sondernanch im 16., 17. und 18. Jahrhundert fortwirkte, nns zur Lehre.Das Neue wird uur uuter Kampf zum Durchbruch gelangen, aberes wird sich durchringen, denn ein lebendiger Geist will eine leben-dige Form.
Es sei mir nicht als ein Verbrechen gegen den Ernst der Knnstnnd des kirchlichen Wesens angerechnet, wenn ich dem Bau prote-stantischer Kirchen den der Bierpaläste entgegenstelle. Die Kunststand auch hier vor der Entscheidung, Idealen oder dem Zweck zndienen. Auch hier begauu sie mit deu Idealen. Sie baute schön,