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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Die Bierhäuser.

Der Stil des 19. Jahrhunderts.

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das heißt, sie hielt sich an die alten Vorbilder. In Hannover ent-stand ein Gasthans, das im Volksmnnde die Bierkirche heißt; überallschus man Bierschlösser mit Türmen und Verließen, altdeutscheZimmer und nachgeahmte Ratsstuben. Der Humor äußerte sichnicht nur in Trinksprüchen und heiteren Wandbildern, sondern anchin der Ausgestaltung der gauzen Räume. Aber wieder zeigte sich,daß der Humor kein ächter Kunsterzeuger ist. Selbst an den Stättender Lustigkeit wurde er bald schal. Nur dort, wo das Bier ein Volks-nahrnngsmittel im höchsten Grade ist, wo es die Geselligkeit ge-radezu beherrscht, nur in München hat man mit vollem Ernst denGasthäusern eine sür ihre Zwecke eigentümliche Gestalt gegeben.Was Gabriel Seidl in dieser Beziehung schuf, lehnt sich wohl analte Stile au, sucht aber nie einen Witz, macht nie Anspielungen; esgeht dnrch Seidl's Schaffen eine frohe Laune, die echt ist, ein Lebens-behagen, das ansteckt, weil es die vollendete Erfüllung seines Zweckesist, ohne Seitenblicke auf andere Zwecke. Gerade weil seine Kellerin München, sein Spatenbrän in Berlin nicht Schlösser, nichtFestsäle, sondern Bierstuben beherbergen, bieten sie die volle künstle-rische Erfüllung der Aufgabe.

Hier in einer neuen uud im Rauge der architektonischen Zwecketief stehenden Aufgabe uud dort in einer künstlich ihrer eigentlichenÜberlieferung entrissenen, kam es zu den: gleichen Ergebnis: Nachunsäglichen Mühen um die Echtheit des Stils zur Gleichgültigkeitgegen diese.

Der Vorwurf, den sich die vorhergehende Zeit immer wiedervon neuem machte, war, daß es der Gegenwart an eigenen Formenmangle, daß sie mir gelernt habe, fremde Stile nachahmen, ausdein Geist anderer herausschaffen.

Die Beschäftigung mit dem Barock hatte für mich eine Er-kenntnis mit sich gebracht, die andere Stile nicht bieten konnten,weil erst seit dem 16. oder richtiger seit dem 18. Jahrhundert nebendem künstlerischen Schaffen ein sich schriftlich äußerndes kunstphilo-sophisches Denken hergeht: nämlich die Erkenntnis, wie wenig sichdiese beiden dort für den Nachlebenden decken, wo die Wechsel-wirkung am klarsten zu beobachten ist, in der Baukunst. SeitPalladio glaubten die Klassizisten von Holland, Frankreich, England

Gurlitt. IS. Jahrh. ZI