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VI. Die historische Schule.
und Deutschtand echt antik zu bauen. Ihr Werk war aber jedesmal,ein solches, daß sich in ihm der Stil der eigenen Zeit stärker ausdrückte, als der der nachgeahmten Römer. Sollte es nun Schinkelbesser geglückt sein, griechisch zu bauen; sollte Semper genauerRenaissance gebaut haben, als jene alten Meister ihre Vorbildererreichten? Sollte nicht überall eine zeitliche uud volkstümlicheSonderheit zn finden sein, die den Nachahmungen trotz den ver-schiedenen Vorbildern gemein ist? Und sollte diese Sonderheit nichtauch für den Mitlebeuden erkennbar sein, obgleich er die fremde»Stile mit gleich gefärbter Brille betrachtet als der Schaffende.Hinsichtlich der Baukunst suchte ich schon 1883 in einem Vortragden Stil des 19. Jahrhunderts aus der Vergleichung des Altenmit dem Neuen festzustellen, trotz dem eifrigen Bestreben, dasdamals noch auf Echtheit hinging, ans jene Stilreinheit, durch dieman allein ein in sich völlig abgeschlossenes, widerspruchsfreies Werkschaffen zu können glaubte. Wohl waren tüchtige Männer ebensowie Fälscher damit beschäftigt, sich ganz in den Geist, in die Form,in die Technik der Alten zu versenken. Schon dem Fälscher gelanges außerordentlich selten, besonders sowie er über die mechanischeNachbildung hinausging, den Kenner zn täuschen. Daß die echtestenMünchener Zimmereinrichtuugeu, die, welche das Ziel der Zeit, dievöllige Verleugnung der eigenen Art erstrebten, je künstlerischer siedurchgeführt waren, desto mehr Eigenes trotz den gegenteiligen Be-strebungen hineintrugen, konnte niemandem entgehen. Namentlichwaren die zahlreichen Restaurierungen, bei welchen alle Kraft aufNeugebären des Alten gerichtet war, doch dem Aufmerksamen als solcheimmer wieder kenntlich. Es war etwas anderes als bloßes Unvermögen,das den Unterschied schuf, nämlich ein verschleiertes Vermögen. Ebensoin der Malerei. Wie Teniers wohl das Lob abgewiesen hätte, alshabe er einen Stil erstrebt, wie er in der Absicht auf Wahrheitund nur iu dieser schöne Werke schaffen wollte, so thaten es dieneuen Künstler. Anch hier war es nicht die Absicht, sondern dasverschiedene Wesen, was sie trennte. Defregger und Knaus warenandere als die, welche abgeschrieben zu haben man ihnen vorwarf.Selbst die Photographie und die in ihr liegende Schärfung derEmpfindung für das zeichnerisch Nichtige hatte darin nichts ändern