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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

schien ihnen Dauer zn gewähren; was modern sei, werde baldmodern.

Wie wunderlich sich die Ästhetik, allzeit bereit den von derKunst gefuudeuen Anschauungen ein Hinterthürlein in ihr Systemzu öffnen dazu stellte, zeigt Hermann Lotzes Abschnitt über dasMalerische in der Kunst in seiner Geschichte der Ästhetik in Deutsch-land, die 1868 erschien. Das Malerische ist ihm etwas besondersBedeutsames, da, von akademischen Gesetzen sich losringend, sast alleKunst diesem zustrebte. Die Aufschließung der Deutsch -Renaissancehat dann diese Richtung noch mehr gestärkt. Lotze baut seine Lehreauf dem Sprachgebrauch des Wortes malerisch auf: es sei das Zer-stören der Regelmäßigkeit, die Bevorzugnug des Zufälligen, alsodas, was Spuren eines Verfalles zeigt: das Alte, Geschichtliche, dieRninen, der geborstene Fels. Man spreche nicht von einem male-rischen Menschenkörper, wohl aber von einer malerischen Gestalt:es sei dies nicht die vollendete, sondern womöglich die in Lumpengekleidete eines Alten.

Die Verschiebung des Verhältnisses von Ursache und Wirkungist augenfällig. Die Meister seit Rafael sahen keineswegs in: Alten,Verfallenen das Malerische, hielten den schönen Menschen für daseigentliche Ziel der Malerei. Erst die Romantik erklärte in Anlehnungan die Mystik des Mittelalters für malerisch, pittoresk, was sie zumalen liebte, das Ruiuenhafte, Verwitterte in Menschen und Natur.Wäre Lotzes Auffassung vom Malerischen richtig, so wären weitausdie meisten der höchst eingeschützten Bildern, dann wäre sogar Rubensuumalerisch. Die Spanier wären es nur in ihren Straßenbildern,Murillo so wenig in seinen Madonnen wie Tizian in seinen schönenFrauen. Aber es ist immerhin ein guter Beweis für die Verschiebungder Begriffe, daß nun die Ästhetik, in der Absicht dem verändertenSchaffen der Kunst in ihrer Lehre Raum zu geben, die ganzeeigentlich idealistische Malerei, ihr eigenstes Kind, als unmalerisch,also als zweckwidrig über Bord warf.

Zum Glück war das Verhältnis der Künstler zur Ästhetik nunbereits völlig in den Zustand der Wurschtigkeit getreten, so daßdie Maler jeden der Ihren, der die Gesetze der Kunst studierte,für einen Dummkopf, sicher für einen solchen hielten, der einen zu