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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Modernes an Inhalt. Modernes Genre.

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seiner Ausbildung höchst ungeeigneten, für sein künstlerisches Schaffenaber sehr gefährlichen Weg betrete.

Die Sehnsucht nach Modernem erfüllten zuerst die Sittenmaler,wieder unter dem Einfluß von den Niederlanden und Frankreich .Schon 1863 machte auf der Münchener Ausstellung ein Bild vonChr. Meunier viel von sich sprechen, ein Trappisten-Begrälmis.Es erregte meist peinliches Aufsehen, nicht so bei einzelnen klarerSehenden. Julius Meyer fand es vor allem musikalisch, in elegischenTönen, in Moll gehalten. Die Köpfe flau, die Form unsicher undnebelhast, die Haltung eintönig, die Modellierung ungenügend, dasLicht dämmerig: aber er suhlte doch, daß sich hier ein Neues meldete.Charles Hermans mit seinem 1875 gemalten, auf Sonder-ausstellungen durch ganz Deutschland wandernden Bild In derMorgendämmerung dürfte den stärksten Einfluß gehabt habe».Es kam in die Zeit der ersten starken socialistischen Regungen, derAufstellung des Gothaer Programmes. Und es stellte die Bour-geoisie im Gegensatze zum Proletarier dar: Arbeiter, die auf demWeg zum Werkplatz srühmorgens betrunkenen Lebemännern undderen sie fortzerrenden Dirnen begegnen: lebensgroß, mit sichererHand nnd entschiedenem realistischen Wollen gemalt. ÄhnlicheBilder kamen mehr nnd mehr zum Vorschein: das war das Ein-greifen der Kunst in das Leben der Gegenwart, die weitere Er-füllung desseu, was man von dem nun schon verhöhnten K. F. Lessingeinst erwartete.

Die Düsseldorfer waren es vorzugsweise, die das Neue, Lebende,Geordnete, Moderne wieder als ein Materisches angesehen habenwollten: Brütt, Bokelmann und andere. Von ihnen sind' dielächerlichsten Kleidungsstücke, der Cylinder und der Frack, die aller-neuesten Gesellschaftstrachten der Franen gemalt worden und zwarnicht mit dem verdächtigen liebenswürdigen Hnmor, sondern mitvollem Ernst. Mit Freuden erkannten Viele an, daß damit eineErweiterung des Schaffensgebietes, nicht aber, daß eine grundsätzlicheWandlung sich vollziehe. Sie sind gemalt worden, ehe sich der Um-schwung zu der anders gearteten Realistik, der des Helltones, voll-zog, aus der alten Schule heraus, nicht ohne Kampf, doch als einenotwendige Ausgestaltung der Kunst, die um 1850 iu Blüte kam,