Druckschrift 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
Seite
486
Einzelbild herunterladen
 
  

486

VI. Die historische Schule.

als eine Vollendung des Strebens nach Verjüngung selbst imAnschluß an die koloristische Auffassung der Alten. Die Ermüdungam Stil schuf die Grundlage der neuen Kunst, die ohne dieVorarbeit der Sittenmaler nicht hätte kommen können.

Diesen geschichtlichen Thatsachen gegenüber kann man nicht,wie so viele modernste Kritiker wollen, die ganze Zeit vor derHellmalerei als die eines geistigen Stillstandes bezeichnen. Es istdies mindestens so ungerecht und kurzsichtig wie das Verdammendes Neuen.

In England schätzen Sammler wie Kunstgelehrte die Malerdes Sittenbildes, obgleich deren Zeit früher abschloß als in Deutsch-land . Ein Wilkie erzielt heute noch auf den Versteigerungen diehöchsten Preise, ebenso wie ein guter Niederländer. Bei uns ist esein mm schon ein Jahrhundert alt gewordener Sport, der Weltweiß zu machen, das Alte sei schlecht, weil es anders ist als dasjetzt Erstrebte. Wenn ich in meiner kritischen Thätigkeit auf einesGewicht lege, so ist es darauf, daß ich zwar redlich bemüht war,dem Neuen soweit ich konnte, die Bahn frei zu machen, aber nichtin Mißachtung des Alten, nicht in Jubel darüber, erkanut zu haben,daß ein bisher Verehrter diese Verehrung nicht verdient habe. Ichmöchte eS anch unserem Volk wünschen, daß es zwar ein offenesAuge für Neues, aber auch einen treueu Sinn für Altgeliebtesbehalte; daß es ernsthaft die Kritiker von sich stoße, deren Be-streben nicht klar erkennbar darin sich kennzeichnet, den Umfangdes als schön zu Verstehenden zu erweitern. Und wenn dieses Bucheiuen Zweck hat, so ist es der zu zeigen, welch schwere Schädigungdie Deutschen durch die immer wieder versuchte Einengung derGrenzen der echten Kunst am Behagen, an innerer Befriedigungerlitten. Denn wenigen ist der Mut gegeben, eine Schönheit inAchtung zu bewahren, die andere als gestürzt verlachen. Ich weißauch, daß, weun dies Buch beachtet wird, die, welche sich jetzt dieJuugen uennen, es als veraltet bezeichnet werden. Denn ihnenliegt es weniger daran, daß man das Neue mit ihnen achte,als daß man das Alte mit ihnen verlache. Im ersten möchte ichein Junger bleiben, solange meine Kräfte reichen; das zweite wirdmir ja mit den Jahren selbst zufallen. Ich möchte an vielen