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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

messen nur sein kann, wenn sie aus Eigenein kommt, so kann sieauch nnr sein, wenn das Urteil aus Eigenem gefüllt wird. Ich stehenicht über der Kunst, sondern will froh sein, mitten in ihr zn stehen.Ich bin Partei, ganz Partei, wenn auch nur meine Partei und nichtdie einer Versicherungsgesellschaft auf Ruhm. Also ist mein Urteilanch nicht gerecht. Im Gegenteil, es ist ganz einseitig, nämlichnur von meiner Seite. Ich halte es für einen Unsinn, wennandere Leute glauben, zweiseitig oder vielseitig, gerecht zu sein,über den Parteien zu stehen. Sie machen nur sich und der Weltetwas weis. Sie thuu, als freuten sie sich an einem Kunstwerk,das ihnen iin Grunde des Herzens gleichgültig ist; ja sie freuen sichan vom höheren Standpunkt verworfenen Dingen. Sie huldigender Mode, die sie zu verachten vorgeben, und erklären eine enggeschnürte Taille selbst in dem Augenblick für ästhetisch verwerflich,in dem sie ertappt werden, hinter einer solchen hergelaufen zu sein.

Was sie treiben, das nennt man die wissenschaftliche, die ernstere,die besonnene Kritik. Ich meine, wir wären besser daran, eine künst-lerische, lustige und vom Augenblick beherrschte Kritik zu üben, eineKritik, die sich zu begeistern vermag, die sich am Neuen freut, nichteinen Ballast ästhetischen Wissens mit sich schleppt, nnd von in derKuust wurzeluden Eigenwesen gehandhabt wird, nicht von einerüber der Kuust hinschwebenden höheren Erkenntnis.

Vielleicht käme es dann dazu, daß andere sich selbst ein Urteilüber Kunstwerke bilden wollten, über die sie etwas lasen, nichtdas Urteil als das ihrige ruhig hinnähmen. Nicht Zustimmungsollte die kritische Arbeit erstreben, sondern Widerspruch. Denn wiejeder, der im besseren Sinn selbst Einer ist, die Dinge anders an-schaut, so muß auch jeder im Betrachten zu anderen Ergebnissenkommen!

Wenn mich gleich die Beschäftigung mit der Kunst, dasJahrelang betriebene kritische Handwerk den Männern der Piloty-schnle und ihrer Art entfremdet hat, so erinnere ich mich doch nochmit herzlicher Freude der Eindrücke, die ich ihnen verdanke, als wirnoch jünger waren. Damals verstand ich sie ganz, und damalsglaubte ich auch uoch iu mir den rechten Maßstab sür echte Knnstzn besitzen, hielt ich mich, kraft der mir gegebenen guten Augen und