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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Georg Hirth .

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kurzen Zeit der Frische erfüllen sie sich mit den Bildern, denen sieihr Leben tren bleiben. Kopfschüttelnd sehen sie auf jene, die sichnm die Wahrheit plagen. Wir haben sie ja, sie ist gut, so wie sieist! Warum gegen sie stürmen, warum sie durch Neues, ihuen uichtBegreifliches ersetzen zu wollen. Sie verstehen die Welt nicht!Die Ablehnung des Alten bei den anderen ist nicht um einenSechser wertvoller. Sie sind so rasch gefangen von der neuenForm, daß ihnen die Freude an der alten sofort entschwindet.Kopsschüttelnd sehen sie auf jene, die am Alten immer noch eineneue Seite, einen fortbilduugsfähigen Gedanken finden, sich mitganzer Seele in das den Neuen völlig Langweilige vertiefen.

Es wird ein Lied gesungen. Einer lernt es rasch und trillertes geschickt, findet es aber bald langweilig. Der andere studiertes fleißig, erfreut sich au seinen Feinheiten und behält es seinLeben lang lieb. Ich glaube, daß beide keine tiefen Musikseelen zusein brauchen. Eine solche steht zwischen beiden. Sie entdeckt imLiede Anknüpfungen an selbst Erdachtes, Selbstempfuudenes. Esklingt in ihr wider und schafft sich in ihr nm, es regt zum Mit-klingen au. Dadurch giebt es Gelegenheit zu immer neuem Durch-arbeiten, zum Finden nener Reize, es wird immer wieder ein anderesim Nachschaffen. Nicht der ablehnend Fortschreitende und nicht derBeharrende sind die Künstler, sondern der, der sorgfältig verarbeiten,aus dem Bestehenden Neues erschaffen kann.

Zu der Darstellung der Göllerschen Gedanken und zu dem,was ich außerdem aus deu Schriften von Georg Hirth und anderenlernte, habe ich hier schon eigene Anschauungen hinzugetragen.Ist diese psychologische Erklärung dafür, was uns schön erscheint,richtig, so ergiebt sich, daß alles, was uns entgegentritt uns durchdie geistige Arbeit des Merkeus zu einem Schönen werden kann.Als mir ein Hamburger Kunstverständiger gemeinsam mit einemArzte an einer tuberkulösen Leber und deren wundervoll getreuen Nach-ahmung in Farbendruck klar machten, daß dies ein schönes Präparatund ein schönes Bild der Krankheitserscheinung sei, war ich nachdieser Hinsicht beruhigt. Daß auch das vollendetste KunstwerkZeiten durchmachte, in denen es als langweilig, ja als häßlicherschien, das lehrte mich die Geschichte aller Orten. Und so er-