!!U
VI. Die historische Schule.
kannte ich, daß es kaum einen Gegenstand der Welt gebe, dernicht als schön und als häßlich empfunden werden könne, daßalso das Wort schön nur sagt, daß ich zu einem Gegenstandein einem bestimmten mir angenehmen Verhältnis stehe. Schön istwas gefällt; mir ist schön, was mir gefällt, anderen anderes!
Also nicht das Gesetz, sondern der einzelne Mensch entscheidet.Das nennt man den Individualismus, das Sein im Eigenen.
Etwa 1886 machte mich mein Freund Peter Jessen mit einemManne bekannt, der mir das Wesen des Individualismus klar werdenließ. Als er mich zum ersten Male besucht hatte, trat ich nach mehrerenStuudeu lebhafte» Gespräches zu meinem alten Vater mit dem Worte:Nun habe ich meinen Hebbel gesnnden! Ich brachte jenen in dasHaus meiner Eltern, die ihn rasch lieb gewannen. Wöchentlichwar er mehrmals entweder bei mir oder dort. Aber mein Vatersagte bald: mein Hebbel ist nur doch lieber! Es war wohl diegleiche Gestalt, die gleiche äußerlich ruhige Leidenschaftlichkeit, diegleiche Form selbstbewußten bildlichen Denkens, die gleiche Schärfedes Urteils und Kraft der Dialektik. Aber es fehlte das eigentlichkünstlerisch Schöpferische, die Rnndung des geistigen Schaums.Wie es einst 1846 in Rom geheißen hatte: Hebbel ist Hebbel undGurlitt ist sein Prophet —so konnte wenigstens bei meinem Vater dasVerhältnis zu meinem Freunde nicht wieder werden. Das Spitze,Springende in seinem Denken mißfiel ihm; er habe etwas vomTrichiuenbcschauer. Ich dagegen habe mich durch wohl anderthalbJahre hindurch mit aufrichtigem Dank mit dem anregenden Manneüber alle möglichen Dinge der Welt hernmgestritten, deren Themaer anregte als solche, die er in einem Buch verarbeiten wolle.Aber Hebbel ähnlich in der Verschlossenheit des Ditmarschen Bauernforderte er mir alsbald das Wort ab, nicht nach dem Buche undseinem Inhalte zu fragen. An den Schwierigkeiten, die sich hierausergaben, kam es zwischen uns zum Bruche. Mit herzlichem Leidesah ich den geistfnnkelnden Freund scheiden. Ich habe ihn niewieder gesehen. 1890 kaufte ich mir das Buch Rembrandt als Er-zieher. Ich hatte nicht zehn Zeilen gelesen, als ich wußte: da ist's,das geheimnisvolle Werk meines geheimnisvollen Gastes. Er ist obseiner zahlreichen Schwächen viel lächerlich gemacht worden, er hat