Print 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Place and Date of Creation
Page
516
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

516

VII. Das Streben nach Wahrheit.

lebendes Bild geben. Es paßt in Leibls Art nicht, daß sie eineGeschichte erzählen, er begnügt sich damit, daß sie lebendig ins Bildhineinkommen. Ihr Leben sitzt in ihnen; das sieht man ihnen in derNatnr an. Wenn man sie also wiedergiebt, wie sie sind, so müssensie auch im Bilde leben. Und das ist Leibl mehr, als weitn sieetwas Geistreiches zu sagen sich bemühen. Vor dem Fleiß, mitdem er seine Arbeit leistet, flieht auch der Humor. Leibl machtuns nicht über die Banern lachen, er erhebt sich und uns nichtüber sie.

In all dem zeigt sich der Handwerker. Was die Künstlervom ersten Bilde an für Leibl begeisterte, das war die handwerk-liche Meisterschaft. Er ist Maler von Gebnrt, nicht von Erziehung.Jeder Strich sitzt, wo er hin soll; jeder spricht das aus, was er zusageu hat; jede Farbe, die er von der Palette anfuimmt, ist rechtins Bild gestimmt. Er fängt sein Bild an einem Ende an undhört am anderen auf uud damit ist es fertig. Was das heißt,weiß nur der Künstler. Es bedeutet soviel, daß er das gauzeBild als Farbeuwirkuug völlig im Kopfe hat; daß er durch dasWeiß des Kreidegruudcs uie in die Irre geleitet wird, sondernseinen Ton alsbald so einsetzt, wie er später neben der Nachbar-farbe richtig wirkt. Wieder ein handwerkliches Können wie jenes,die Bleilinie haarscharf so zu zieheu, daß sie wirklich das in allerFeinheit sagt, was die Natur fordert. Ein Handwerker mit so feineuSinnen seilt das ist eben Künstlertum. Das ist die Kunstdes Realismus, daß der Schaffende jene gewaltige geistige Spann-kraft nie verliert, mit jedem Pinselstrich, mit jeder Linie einenTeil des Gesamteindruckes zu geben, diesem zu dienen. Dazu gehörtein besonderes Auge, ein besonderer Nerv, ein besonders gestaltetesGehirn und eine starke, sichere Hand. An diesen Bildern sahen dieMünchener die Kraft eines um alle ästhetischem und gelehrtenForderungen unbekümmerten, rein malerischen Geistes.

Leibl hat in späteren Bildern die Feinmalerei aufgegeben, ersetzt seine Töne mit breitein Pinsel fest auf, er arbeitet nur dieweseutlichsteu Teile, die Gesichter iu vollendeter Feinheit durch.Nicht eilt Nnchlasseu des Eifers, sondern ein Zusammenfassen seinerKraft; nicht ein Nachlassen der Schärfe im Blick, sondern ein