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VII. Das Streben nach Wahrheit.
Wer sich mit solchem Abschätzen der Tonwerte noch nicht beschäftigte,wird erstaunt sein, welche Sicherheit des Auges dazu gehört, dieseVerhältnisse zu erkennen und die richtigen Farben auf der Palettezu finden. Diese Nervenfeinheit aber macht den modernen Maler:Richtig zu sehen, die Natur auf ihre malerischen Werte zu unter-suchen uud diese in schlagendein Ausdruck auf der Leiuwand zugeben, das ist es, wonach er ringt, das ist der Boden, auf demseine angestrengte Geistesarbeit Lorbeeren sucht.
Ein augenfälliges Beispiel. Man gehe bei Mondenschein indie Schneelandschaft. Der Schnee erscheint weiß; man pflanze inder Nähe einer brennenden Gaslaterne einen Stock auf: es werdenvon ihm aus zwei Schatten auf deu Schnee fallen, der von derLampe und der vom Mond ausgehende. Auf den ersten wird alsonur Mondlicht, auf den zweiten nur Lampenlicht fallen. Wer dieSache nie versuchte, der wird von dem Eindruck sehr überraschtsein. Der erste ist leuchtend blau, der andere tief braunrot; sieerscheinen wie farbige auf den Weißen Schnee gelegte Bänder. That-sächlich aber ist der Schnee also nicht weiß, fondern im Mondscheinso blau und im Sonnenlicht so rot wie jene Schatten; er hat dort,wo beide Lichtquellen einwirken, eine Mischfarbe. Ebenso ist aberjede Farbe gebrochen durch den in der Stimmnng beruhenden Ton.Es erscheint uns zwar der Schnee, als der Weißeste Teil des Ge-samtanblickes, rein weiß. Es bleibt dem Maler, der die Ton-wirkung genau beobachtet, sein Bild in gleiche Tiefe einstimmt, wiedie Natur sie bietet, von der Helligkeit des Schnees zu jener desMondes wohl noch ein Helligkeitsunterschied, durch den er dasLicht malen, den Eindruck des Leuchtens durch Farbe erzielenkann, indem er nicht die starken, sondern die feinen Farbenuuter-schiede sucht, indem er vorsichtig Tiefen vermeidet, dafür aber die Ge-samtheit einer Lichtwirkuug festhält und sie bis zur Darstellungdes eigentlichen Lichtes steigert. Früher liebte mau nur eineStimmung, die gelben Lichter in der nach Norden gelegenen Werk-stätte. Man färbte deren Licht womöglich nach, mit Schrecken ge-wahrte man in ihnen Reflexe. Wo das Widerlicht von einemgrünen Baum ins Fenster schien, konnte man nicht malen, denndas Licht war grün. Kunstlicht aber sah immer gelb aus, so