Verhältnis von Form und Farbe,
537
er ihr durchaus zu widersprechen wähnt. Jener sah in der Ab-straktion das Ziel der höheren Landschaft, damit sie rein uudwiderspruchslos das Wesentliche, Bedeutende geben könne. Das,was für Schasler die Forin war, ist für Liebermann der Ton, dieFarbe unter Einfluß des Lichtes. Stauffer-Bern sagt einmal: Esist merkwürdig, daß wir Maler so gar nicht gewöhnt sind, Formohne Farben zu sehen und von der Form schlechtweg keine Ahnunghaben. Das war damals, als er von der Malerei zum Kupferstich,von diesem zur Bildnerci überschweukte. Er übertreibt. EiueAhnung hatte er wohl von der reinen Form, doch nicht die volleEmpfindung für sie. Liebermann sieht die Farbe mehr als dieForm, er zielt ans die reine Farbe hin oder richtiger auf den Tonschlechtweg. Wie jenem die Farbe, so erscheint ihm die Formnebensächlich. Sie fehlt nicht, sie regt ihn aber nicht an. Mansehe seine Skizzen. Sie sind ein Verzeichnen der Tonwerte ineinem Stück Natur. Ob man erkennt, was sie darstellen, ist ihmso nebensächlich, wie es Preller war, ob die Tonwerte im Bildeunter einem Licht auch iu der Natur möglich seieu.
Da fehlt also noch etwas am Wirklichkeitsbilde, etwas, dasjeder bemerkt. Bei anderen ist das Fehlen noch deutlicher. DerAmerikaner Whistler, ein Maler von höchsten Gaben, ist in rea-listischer Idealität noch einseitiger. Er drängt mit einer Kraft aufEinfachheit, auf Verzicht hinsichtlich der Form, die uns Zeitgenossenentzückt. Ich wüßte nicht, daß ich mit mehr Genuß Bilder gesehenHütte als seine, wenn sie gleich ausgesprochenerweise nur Sym-phonien in Farbe sind.
Das ist nicht wissenschaftlich festgestellte Wirklichkeit, sonderndas ist unbedingt mehr, das ist reine Kunst. Das ist uicht Fest-stellung des Thatsächlichen, so wenig wie ein Bild Liebermanns.Wäre dies selbst die Absicht des Malers gewesen, so hat ihn seineMalernatur vor dem Uuküustlerischen bewahrt. Es handelt sichhier nicht um Werte, die einmal erkannt, von jedem wiedergefundenwerden. Wie die meisten Älteren in Liebermanns Bildern nichtWahrheit sehen, so werden es vielleicht Spätere anch nicht thun.Ja, ich bin sehr in Zweifel darüber, ob eine folgende Zeit — unddas wird notwendigerweise eine andere sein als unsere — sie als