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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Nnwissenschaftlichkeit des Realismus. Christus und die Gegenwart. 539

findet Pecht in ihm den Fehler des ungenügenden Könnens, derschlotterigen Formengebnng, mangelnde Beherrschung des Handwerks,die allgemeine Krankheit der neuen Naturalisten. Und dieses Ur-teil war eines der mildesten, das zu einer Zeit erschien, da dieBilder: Christus als Kinderfreund, Komm Herr Jesus sei unserGast, Der Gang nach Emmaus, Das Abendmahl, Die Bergpredigtbereits öffentlich ausgestellt, Uhde schon in München von vielenals der Mann der Zukunft, der Besieger Pilotys gefeiert wurde.

Das, was die meisten an Uhde entsetzte, ist das HineinstellenChristi in einen Menschenkreis aus unserer Zeit. Christus alsGast des Arbeiters, die Apostel als Männer des niederen Volks,wie wir sie von der Straße her zu kennen scheinen, nicht alsschöne alte Leute, sondern von Arbeit und Sorge zerschrotet. Daswidersprach allen: bisher geltenden Gesetz. Denn erstens war esgegen die geschichtliche Wahrheit Christus lebte nicht 1880,dann war es sogar gegen die geschichtliche Wahrscheinlichkeitman konnte Uhde unmöglich für so uaiv halten, daß er nicht wisse,wie groß der Wandel in Sitte und Kleidung seit Christi Leben undTod sei; dann endlich sprach es gegen allen Idealismus. Dennwelche Mittel hat die Kunst das Erhabene zu kennzeichnen als dieSchönheit und gerade dieser schien Uhde geflissentlich aus demWege zu gehen!

Was ist denn dieser Idealismus im Sinne der Kritik, in jenemSinne, in dem er Uhde abgesprochen wird? Man bezeichnet uuterIdealismus die Liebe zur Idee, das Vermögen für das Ideale,Wille und Kraft, die Ideale, die Welt der Ideen in sich aufzu-nehmen. So erklärt ihn Christian Muff in seinem Buche Idealis-mus, das ich hier anziehe, nicht weil es tief sei, sondern weil es dielandläufigen Ansichten derer, die nicht selbst denken, gut wieder-giebt. Vom Kaiser hinab bis zum letzten Schulmeister klingtin Deutschlaud das Wort, dem Volke müsse sein Idealismus er-halten werden! Wenn dies wirklich so nötig ist, so wird man mirverzeihen, wenn ich etwas neugierig werde, zu wissen, was dasdenn sür eiu Ding sei, der Idealismus. Die Erklärung, daß esLiebe zur Idee sei, ist sehr klar sür den, der weiß, was denndie Idee sei. Gemeinhin ist Idee nur das Fremdwort für den