Der Idealismus in der Darstellung des Heiligen.
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nämlich des an der Schuld der Welt zu Grunde gehenden Menschen.Wer wäre je darauf gekommen, als das Urbild, als das unwandel-bar Einige, Reine und Unvermischte, als die höchste Gestalt desMenschentums, von dem alle audere Menschengestalt nur ein schwachesAbbild ist, den armen schmachvoll Gekreuzigten hinzustellen, denLeidenden, den Sterbenden? Eine Religion, die sich dieses Zielvor Angen setzt, der fehlt eben der schönheitliche Idealismus, derist dieser Begriff, den sie selbst nicht hat, nnr künstlich aufgedrängtworden. Das Ideal des Menschen bildeten die Griechen, es sindihre Götter: der Glaube an das Ideal ist griechisch: die Kunst, diees erstrebt, ist stets mit dem Christentum iu Zwiespalt gekommen.Der Christ kennt das Ideal nicht, er kannte die Sache nicht unddas Wort nicht, das im 17. Jahrhundert der Jesuit Lana erfand.
Die Christen haben sich stets bemüht, Christus sich zu ver-gegenwärtigen, nicht um ein Ideal zu schaffen, sondern in demStreben, die Wahrheit zn ergründen. Sehr viele und sehr ernsteKirchenväter sind zu dem Schluß gekommen, der Gottessohn, deralles Leid der Welt aus sich genommen habe, müsse wohl auchjenes der Häßlichkeit mit getragen haben. Ihr Bestreben, ChristiWesen aus künstlerischen Erwägungen im Bilde wieder herzu-stellen, führte sie dazu, ihm, dem mit Schmach Belasteten, auchdiese Last aufzubürden. Andere, griechisch Beeinflußte wollten ihnin strahleuder Schönheit sehen, wenigstens den thronenden Christus.Aber gerade die größten Künstler scheiterten an dieser Aufgabe. Essind nicht die glücklichsten Gestalten, die Christusbilder Nafaelsund Michelangelos . Darüber ist eben kein Zweifel, daß sich nachder Seite der Schönheit das Gotteswerk, der Mensch, vom Künstlernicht überbieten läßt. Alle Zeiten, die auf Schönheit das Haupt-gewicht legten, verloren den Zwischenraum, um Christus durcherhöhte Schöuheit auszeichnen zu können. Je formal-idealer dieKuust wurde, desto schwerer wurde es ihr, den Einen über dassonst Erreichte zn erheben.
Das Ziel aller jener Zeiten, die nene Kunst gebaren, istdarauf gerichtet gewesen, Christus aus dem Typischen, Idealen fürdas Menschliche zu erobern. Ans dem Gotte den Menschensohnherauszusuchen, ihn aus der Glorie in die Welt zu stellen, in ihre