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VII. Das Streben nach Wahrheit.
Wer es wagt, Christi Gestalt darzustelleil oder die Dar-stellung zu würdige», muß sich klar sein, daß die Erhaltungeines vorhandenen Ideals eine unerfüllbare Forderung sei. Daßimmer wieder ein neues Bild des Herrn zu schaffen sei, weil dasalte seine Kraft verlieren muß. Mögen Nichtkünstler es fertigbringen, immer wieder an demselben Bilde sich zu erheben: jederueue Künstler mnß darauf dränge», es in sich zn erleben und aussich zu gestalten. Denn er konnte die Vorstellung, die sich ein anderervor füufhuudert oder vor fünfzig Jahren von Christns gemacht hat,nicht als seine wiederholen! Entweder das starre Gesetz der griechischenKirche, die strengste Nachbildung der alten, vom Apostel Lnkasgemalten Darstellungen fordert; oder die Freiheit, selbst den Aus-druck zu suchen und zu gebeu, möge er nun anderen gefallenoder nicht.
Nnr ein küustlerisch Schwachsichtiger kam? verhehleu, daß sichdie moderne Kunst redlich mühte, dem Heiligen gerecht zn werden.Ob die Wege die bestell, die Ergebnisse glücklich waren, ist eineFrage zweiten Ranges. Eines aber ist uuverkeunbar: wenn esTugend ist, seinen eigenen Vorteil zur Erlangung eiucs allgcmeiueueiuzusetzen, so hat die deutsche Kunst sie reichlich besessen. Denndessen war sich jeder Künstler klar, daß es zwei Wege gab, die ereinschlagen konnte. Den, so zu malen, wie es die Geistlichen forderten,ideal. Dadurch erlangte man Aufträge, Geld, Ansehen in der Welt,wenn auch nicht vor den Künstlern. Unbedingt war dieser Wegder leichtere. Nicht alle, die ihn wandelten, thaten dies im Wider-spruch gegen ihr küustlerisches Gewissen, aber doch viele, von derNot getrieben. Oder, der zweite Weg, sie suchten den neuen Aus-druck. Damit waren sie sicher, daß das Bild unverkäuflich blieb,daß fie die Geistliche» gegeu sich eiuuahmen, daß sie keinen anderenVorteil erlangen konnte, als die Zustimmung der Künstler undeiniger Kunstkenner nnd die innere Befriedigung ciues künstlerische»Dranges. Schwer aber lastete auf der Kunst die Macht der Kirchen,die zwar von ihr forderten, sie solle sich um ihre Fragen als diehöchsteil bemühen, aber alle Versuche, diese mit dem Geiste unsererZeit zu erfassen, sie innerlich mit uns zu verkuüpfcu, init Abscheuvvu sich wiesen: die katholische mit einem aus der Lehre von der