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VII. Das Streben nach Wahrheit.
sucht habe; nicht Christus, den Welterlöser, sondern Christns, denSohn der Jüdin Maria . Im gleichen Sinn arbeiteten viele: dieFranzosen — Decamps, Fromentin — der Russe Wereschtschagin ,der Ungar Muukaczy, die alle die heilige Geschichte als einWirkliches darzustellen glaubten, indem sie das Gewand des heutigenOrients oder sonstige echte Kleider über sie hiubreiteten.
Sie haben nicht erreicht, daß man ihnen vorwerfen könnte, ihreBilder seien eine Maske der Wahrheit. Sie sind keine Fälschungder Wirklichkeit in dem Sinne, daß auf der einen Seite der Vor-gang steht, wie er war, auf der anderen das Bild, das sich mitihm infolge der wissenschaftlichen Genauigkeit und der mechanischenWiedergabe mit der Wahrheit deckt, außer darin, daß es ebeu uichtder Vorgang selbst, sondern sein Abbild ist. Man wird nie inZweifel darüber sein, daß man vor sich ein Bild hat und uichtden Vorgang selbst. Zeuxis malte angeblich eine Traube so wahr,daß eiue Taube nach ihr Pickte. Es hat kein kirchliches Bild inuns eine ähnliche Täuschung hervorgerusen.
Oder doch? Der Maler Bruno Piglhein , einer der ge-schicktesten unter den von Leibl angeregten Künstlern Münchens ,nahm den Gedanken der Rationalisten auf. Auch er reiste nachJerusalem, um zu untersuchen, wie Land und Leute dort beschaffenseien, bevor er daran ging, die Kreuzigung in einem Panoramadarzustellen. Ein Panorama aber ist mit aller Gewalt auf denRealismus hingewiesen. Es soll täuschen, es soll die Grenze zwischenWirklichkeit — dem plastisch gebildeten Vordergrund — undNachbildung verwischen. Ich sah in Brüssel ein Panorama derSchlacht bei Waterloo mit einem französischen Grenadier-Karee, beidem die vordersten Gestalten in Gyps gebildet, doch mit echtenAnzügen bekleidet, die Hinteren Reihen gemalt waren. Da ist alleÄsthetik völlig über den Haufen geworfen. Deren Vertreter habendenn auch weidlich auf die Panoramen geschimpft, ohne anderes zuerreichen, als daß jeder, der künstlerisch empfand, auch bemerkte,daß ein Panorama sehr wohl ein Kunstwerk sein könne, daß alsodie Ästhetik falsch sein müsse, die dies leugne. Piglhein, der durcheruste religiöse Werke, wie durch die leichte Hand im Malen auchlustiger Dinge zu Ansehen gelangt war, packte viele, riß viele für