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VII. Das Streben nach Wahrheit.
ihnen nur Juden von heute iu alter Tracht, wahrend ich in denBildern der idealistischen Schule meist nichts sah als von frühereu,größeren Eindrücken Abgeleitetes und schön frisierte Heiligenmodellemit sorgfältig eingefettetem Bart — eine nicht minder unangenehmeGesellschaft. Gegen die Verknüpfung von Religion und dem heutigenTagesleben wehrte sich aber die Kunst wie die Theologie als Herab-würdigung des Heiligen und leider die Protestautische Theologieuicht minder als die katholische, obgleich man doch einsehen sollte,daß in eine Laienkirche die priesterliche Absonderung der Kunst, wiesie Overbeck anstrebte, uicht passen will!
Aber andererseits konnte sich eine ernste Kuust nicht an Auf-fassungen festnageln lassen, von denen sie wußte, daß sie einfachfalsch sind, hervorgegangen aus verzeihlichen Irrtümern einer wenigerunterrichteten Zeit. Fragen, wie die nach der geschichtlichen Wahrheit,brauchten um der Kunst willen gar nicht aufgeworfen zn werden.Waren sie es aber, so heischteu sie Autwort. Wohl kouute man sichder Alten freuen, obgleich man wußte, daß sie irrten. Konnte manaber mit dem Bewußtsein, die Unwahrheit wenngleich iu Neben-dingen zu gebeu, an Heiliges herantreten? Hermann Kaulbach ,A. Keller, O. Wolf, G. Fugel, Ernst Zimmermanu und so vieleandere mehr, jeder versuchte in seiner Weise das Örtliche, Volks-tümliche Palästinas zu ergründen, die biblische Erzählung dadurchglaubwürdiger darzustellen, dem modern Gebildeten näher an dieSeele zu rücken.
Die Maler wußten sehr wohl, daß init dem Rocke uicht ChristiWesen getroffen sei. Daß man es auch nicht traf, indem manden Juden von heute oder den von damals in echter Volksbildungwiedergab. Jhuen war klar, daß sie die Gestalt uochmals durch-denken und ausdenken müßten, indem sie ihn anders, mehr ihremWesen gemäß gaben, als die früheren; indem sie sich von dem IdealTizians und der Bologneser als dem zumeist giltigen befreiten.Es hat keiner einfach ein Modell abgemalt, wie man ihnen wohlvorwarf; wenigstens keiner, der irgend etwas im Kreise der Künstlergilt, hat sich begnügt mit dem, was er in der Natur sah. Jedermußte von der Natur ausgehen, vom Menscheu, da er des Men-schen Sohn zu schildern hatte. Jedem lenkte leise die Gewöhnung